Kiefernglanz

Kiefernglanz

jetzt tanzen sie wieder
zu klirrend kalter Mondmusik
bauen frostige Lager
in Astgabeln
Flügelpaare leuchten
im blauen Licht
Nestbau zwischen Sternen
und Morgenglanz
der erste kleine Frühling
erwacht im Januarmond

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden und ein Beitrag zum dichtenden Dienstag! Jahreszeitlich nicht ganz passend, aber was soll man machen, wenn da „frostig“ als Vorgabe steht! 😊 Die Vorgaben für die Etüden siehe Bild, organisiert wird das ganze von Christiane – vielen Dank!

Nestbau

Fräulein Honigohr kuschelt sich tiefer ein. Die roten Blütenblätter leuchten. „Weißt du noch“, fragt sie schläfrig, „wie ich dir ein Nest gebaut habe? Es war kalt, und naß, aber dir hat das nichts ausgemacht, du warst so schön… rund und braun und du hast nach Frühling gerochen…“
Die Tulpe summt im warmen Wind.
„Genau“, sagt Fräulein Honigohr, „so ist es, meine Liebe. Ich habe mir ein paarmal Sorgen gemacht, weißt du das? Es war so frostig draußen, und ungemütlich. Aber das hätte ich gar nicht tun müssen, oder?“
Ein Leuchten wie ein Lachen rauscht über die roten Blätter.
„Ich wusste es“, murmelt Fräulein Honigohr und blinzelt träge in den Himmel. Die Sonne glüht durch das tiefe Rot und wirft Feuerwirbel über ihr Gesicht. Die Tulpe dehnt sich der Sonne entgegen, ihre Blätter tanzen im leichten Wind.
„Nächstes Jahr werde ich Nestbau für dich betreiben“, murmelt Fräulein Honigohr, bevor sie einschläft. „Dann kannst du im Schwarm tanzen.“
Die Tulpe singt.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden (Bedingungen siehe Bild oben), und organisiert werden die Etüden von Christiane – vielen lieben Dank! 😊

Rufus und der Dichter

Mit langen Schritten lief sie den Pfad am Waldrand entlang, hielt sich im Schatten der Kiefern und sah in den übertrieben blauen Himmel hinauf. Eine Dichterlesung! Was hatte sie sich dabei gedacht? Lyrik war noch nie ihr Ding gewesen, sie bevorzugte Liebesromane, und zwar die, bei denen man schon am Anfang wusste, wer am Ende zusammensein würde. Trotzdem hatte sie sich überreden lassen, mitzukommen, und was war das für ein Abend gewesen! Experimentelle Lyrik! Selbst nach zwei endlosen Stunden hatte sie immer noch keine Ahnung, was der Dichter ihr zu sagen versuchte, außer, dass er nicht nur sich, sondern auch sie unwiderstehlich fand. Er flirtete sie dermassen hemmungslos an, dass sie sich fast ducken musste, um nicht weggeblasen zu werden von all den stürmischen Blicken. Ihre Freundin hatte gegrinst. Natürlich!
Sie lehnte sich auf das sonnenwarme Gatter vor ihr und rief nach Rufus. Er hob den Kopf, I-Ahte laut und trabte auf sie zu. Esel! Die waren genügsam, sie brauchten fast nichts, außer ein bisschen Kraftfutter ab und zu und eine kraulende Hand unter den Ohren. Sie war genauso, oder? Zäh und genügsam. Sie musste nicht verkuppelt werden. Mit beiden Händen strich sie Rufus über den Kopf, er lehnte sich schmachtend an das Gatter und atmete laut. Naja. So ganz stimmte das auch nicht. Ganz hinten in der Ecke der Koppel stand Iris, die Eselin, die sie für Rufus gekauft hatte, und betrachtete sie mit misstrauischen Blicken. So handzahm wie ihr Lieblingsesel war sie nicht, aber Rufus war deutlich glücklicher.
Und so hatte sie nun heute abend ein Date mit einem Dichter für experimentelle Lyrik. Was Rufus konnte, konnte sie schon lange! Immerhin hatte sie ein paarmal laut gelacht während der Lesung. Und lachen war fast so gut wie ein I-Ah von Rufus, wenn sie ihm die Ohren massierte, oder?

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, organisiert (immer noch, glücklicherweise) von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Die Wortspende stammt dieses Mal von Werner Kastens und seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Die einzufügenden Wörter waren Dichterlesung, genügsam und verkuppeln in maximal 300 Worte.

Der Schweinehund ist krank

Dein Schweinehund liegt dir gegenüber, er auf der einen Seite des Sofas, du auf der anderen. Er röchelt dramatisch und legt einen Arm über die Augen, dann richtet er sich mühsam auf und fängt an zu husten, als ob es sein letzter Tag mit dir wäre. Nach dem Anfall lässt er sich schwer zurück ins Kissen fallen. Du seufzt und zupfst ein neues Taschentuch aus der Box, die schon wieder fast alle ist, putzt dir die Nase und lässt es auf den Taschentuchberg neben dir fallen.
„Erzähl mir was“, fordert der Schweinehund mit geschlossenen Augen, „mir ist langweilig.“
„Mir fällt nichts ein“, sagst du matt und schniefst.
„Ach komm“, sagt dein Schweinehund, „mir zuliebe.“ Seine Schnauze zuckt, bis ein mächtiger Nieser dich anbrüllt. Er schüttelt sich und streckt die Pfote aus. „Ich brauch ein Taschentuch.“
Während du ihm eines reichst, überlegst du kurz, aber die 37,8 Grad in deinem Kopf verstopfen alle Gehirnwindungen. Trotzdem, ein Versuch schadet ja niemandem. „Also“, beginnst du, „es war einmal ein Drache. Der entführte ein edles Fräulein. Das war so schrecklich unglücklich, dass es immerzu weinte. Der Drache fragte, was er tun könne, damit es ihr besser ginge, und das Fräulein sagte, es würde so unglaublich gern häkeln, denn das sei ihre größte Leidenschaft, und ohne sie sei sie quasi nichts.“
Dein Schweinhund jault leise.
Du ignorierst ihn. „Und weil der Drache ein netter Drache war, besorgte er Nadel und Garn und ließ sich das Häkeln beibringen. Und wenn sie nicht gestorben sind, sitzen sie noch heute in der Drachenhöhle und häkeln gemeinsam.“
Dein Schweinehund guckt dich an. „Ernsthaft?“ fragt er.
„Sorry“, sagst du, „mehr ist gerade echt nicht drin. Frag mich morgen nochmal.“ Du lässt den Kopf zurücksinken und schließt die Augen.
Dein Schweinehund seufzt. „Das werde ich“, murmelt er, „das werde ich.“

Die Wortspende für die Textwochen 04/05 des Jahres 2023 stammt von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Sie lautet: Drache, edel und häkeln. Falls jemand aufgrund dieser Etüde auf die Idee kommen sollte, ich sei vielleicht krank: Ja! Die Grippe hat mich mal wieder erwischt, und dieser Text ist zu meiner Freude der erste seit längerer Zeit frisch geschriebene. Darauf einen Tee und ein Taschentuch! 😊

Fluchtsieger

Frau Mörgenbörtel schmückt ihren Weihnachtsbaum ab. Zuerst kommen die roten Kugeln mit dem Glitzerstaub wieder in den Karton, dann die goldenen mit den Rentieren. Bei den Holzsternen ist sie schneller, das sind die Unempfindlichsten. Wie jedes Jahr bedauert sie, dass es kein Lametta abzunehmen gibt, die silbrigen Fäden lagen immer so schön kühl und schwer in der Hand. Zum Schluss wickelt sie die zwei Lichterketten auf und schon steht der Baum nackt vor ihr. Jetzt kommt der beste Teil. Sie tippt in ihr Handy und fragt, ob die anderen soweit sind. Die Antworten kommen postwendend. Sie befreit den Baum aus dem Ständer, wuchtet ihn durch die offene Balkontür nach draußen und auf die Brüstung. Auf den Balkonen links und rechts neben ihr tauchen zwei weitere nackte Bäume auf. Einer davon hat bemerkenswert wenig Äste.
„Das ist unfair!“ ruft Frau Mögenbörtel. „Du hast ihn frisiert!“
„Ach was, stell dich nicht so an! Mein Kaninchen liebt Tannenbaumzweige, da musste ich ein paar abzweigen!“ antwortet die Nachbarin zur Linken.
„Reden wir jetzt übers Füttern oder über den Fluchtsieger?“ knarzt der Nachbar zur Rechten und dreht seinen Baum probeweise in den Händen.
„Über den Fluchtsieger! Eins, zwei, drei!“ Frau Mögenbörtel wirft ihren Tannenbaum in einem gewagten Winkel nach unten. Ihre Nachbarn tun das gleiche. Der frisierte Baum macht einen Salto und kommt als letzter unten an. Gewinner dieses Jahr ist Frau Mögenbörtels knarzender Nachbar, der die Faust reckt und triumphierend „Sieg!“ ruft. Sein Baum ist am schnellsten unten angekommen.
Frau Mögenbörtel strahlt. Das Ende von Weihnachten ist wunderbar. „Ich geb einen Eierlikör aus! In fünf Minuten bei mir!“ ruft sie, ihre Nachbarn nicken und verschwinden nach drinnen. Eine Tannennadelspur zieht sich durch Frau Mögenbörtels Wohnzimmer, aber der Eierlikör hat Vorrang. Man muss Prioritäten setzen, denkt sie, und fischt die Eierlikörflasche aus dem Kühlschrank.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, die von Christiane organisiert werden – vielen Dank dafür! Die Regeln: Maximal 300 Worte, enthalten sein müssen dieses Mal Fluchtsieger, füttern und wunderbar. Wortspender war Ludwig Zeidler, der Erfinder der Etüden.

wir reisen gemeinsam

wir reisen gemeinsam
auf dem Rücken der Schildkröte
unaufhaltsam
immer voran
niemals zurück
kein Flehen hat sie jemals gestoppt
und doch
kriecht sie großzügig langsam
immer voran
niemals zurück

Und jetzt habe ich es tatsächlich geschafft, zwei Aktionen zusammenzubringen: Der Dienstag dichtet und die abc-Etüden 😊.

Dieses Mal stammen die Worte von Natalie mit ihrem Blog Fundevogelnest. Sie lauten: Schildkröte, großzügig und flehen.

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Dienstag ist Gedichtetag. Wer sich anschließen will, ist herzlich willkommen! Mit dabei sind:

Mutigerleben
Wortgeflumselkritzelkrams
Werner Kastens
Nachtwandlerin
Gedankenweberei
Erinnerungswerkstatt
Lebensbetrunken
Dein Poet
Geschichte/n mit Gott
Suses Buchtraum
Wortmann
Traumspruch
Lyrik trifft Poesie
Voller Worte

Wolken

am Himmel behäbige Ungetüme
schieben sich übereinander
wälzen sich umeinander
durch die anderen hindurch
verlieren sich ineinander
verprassen die Feuchtigkeit
erlösen sich regentropfennass
viele schwere Schleier
reiben in Zeitlupe
aneinander vorbei
langsames Schieben
lautloses Wogen
nur das Jetzt
und die anderen
ein Atem
jetzt

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden 40/41 in 2022, die von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer organisiert werden – vielen Dank dafür! Die Wortspende ist von Werner Kastens mit seinem Blog Mit Worten Gedanken horten und lautete: Zeitlupe, behäbig, verprassen. Außerdem dürfen es maximal 300 Worte sein, aber da lag ich dieses Mal sowas von drunter! 😊 Leider hat keins der drei schönen Etüdenbilder zu meinem Gedicht gepasst, deswegen habe ich dieses Mal ein eigenes Wolkenbild genommen, das auf den richtigen Text gewartet hat.

Frau Möllendiek fährt vielleicht Fahrrad

Frau Möllendiek ist empört. Eine Wutwelle steigt ihren Hals empor. Da will sie ein Opfer bringen und Fahrrad fahren und dann sowas! Mit Wucht schubst sie das Fahrrad ins Blumenbeet. Nicht mit ihr! Die sollen sehen, was es bringt, sie, Frau Möllendiek, zu ärgern! Sie wird Auto fahren, jawohl. Als sie zur Garage geht, sieht sie wieder die Ökofrau mit den grauen Wallehaaren, die an der Regentonne lehnt. Herr im Himmel! Kann man sie denn nicht einmal in Ruhe lassen!
„Nein“, sagt die Ökofrau.
„Lassen Sie das!“ ruft Frau Möllendiek, „meine Gedanken gehören mir!“
„Ich kann mir auch was besseres vorstellen!“ gibt die Ökofrau zurück. „Ich kann es mir aber nicht aussuchen, wie Sie ja sehr wohl wissen!“
Frau Möllendiek kneift die Augen zusammen. „Ich auch nicht, wie SIE ja sehr wohl wissen!“
Sie starren sich in die Augen. Die Luft heizt sich auf. Frau Möllendiek gibt als erste nach, was sie noch beschäftigen wird. Ein Nachteil, wenn man sensibel ist.
Die Ökofrau lacht. „Sie? Sensibel? Sie haben gerade Ihre Nachbarin zur Schnecke gemacht. Sie sind so sensibel wie ein Mähdrescher.“
Frau Möllendiek läuft rot an. „Die hat ihr Fahrrad wieder vor meins gestellt, und das, wo sie ganz genau weiß, dass das nicht ihr Platz ist! Und was sie alles zu mir gesagt hat!“
„Meine Güte, man kann auch mal nachgeben! Und Sie hatten doch Größeres vor, oder? Wollen Sie Ihre Nachbarin gewinnen lassen und Auto fahren? Was ist mit dem Klima?“
Frau Möllendiek blinzelt. Richtig. Das hatte sie ganz vergessen. Sie schwankt unentschlossen.
„Ich könnte mitfahren“, bietet die Ökofrau an.
„Nein.“ Frau Möllendiek reckt das Kinn. Große Entscheidungen verlangen große Opfer. Also doch das Fahrrad. „Aber das liegt nicht an Ihnen!“ schleudert sie in Richtung der Ökofrau.
Die verdreht die Augen. Hinter ihr blitzen kurz ihre Flügel auf.

Ein Beitrag zu den abc-Etüden! Die Regeln: Maximal 300 Worte (hart umkämpft dieses Mal, sie haben regelrecht miteinander gerungen, um in den Text zu kommen), unterzubringen waren Regentonne, sensibel und schwanken (hab ich ein bisschen gebogen) und gespendet wurden sie von Ellen mit ihrem Blog nellindreams. Organisiert wurde das ganze wie immer von Christiane – vielen Dank! 😊

Fräulein Honigohr und die Liebe

Fräulein Honigohr lehnt sich aus dem Fenster. Es ist ein schöner Tag, die Vögel fliegen halsbrecherisch wie selten und sie hat etwas Seltsames gehört. Da! Ganz leise und von weit über ihr klingt es wie „Iii… ebt… Iii…“ Was ist das? Neugierig läuft sie hoch auf den Dachboden, öffnet eins der schrägen Fenster und sieht hinaus.
Ein kleiner Mann steht in der Dachrinne. Er hat Flügel, aber sie sehen ziemlich kläglich aus. Er flackert wie eine gesprungene Neonröhre, ein grüner Schimmer umgibt ihn wie Brechreiz. „Gebt mir ein L! Gebt mir ein I! Gebt mir ein E!“ ruft er mit heiserer Stimme über die Dächer, aber seine Stimme trägt nicht weit. „Gebt mir ein B! Gebt mir ein E!“
„Ach so“, murmelt Fräulein Honigohr, dann beugt sich sie aus dem Fenster. „He! Du! Geht´s dir gut?“
Der kleine Mann zuckt zusammen und dreht sich um. „Hast du mich gehört?“ fragt er hastig. Fräulein Honigohr nickt.
Der kleine Mann bricht in Tränen aus. Seine Flügel sinken herab. „Du hast mich gehört!“ schluchzt er, „niemand hat mir zugehört seit Ewigkeiten!“
Fräulein Honigohr zieht ganz leicht die Augenbrauen hoch. „Naja“, sagt sie, „du buchstabierst. Aus einer Regenrinne im vierten Stock. Klar hört dich da keiner.“
Der kleine Mann legt die Hände vors Gesicht. „War das falsch?“ flüstert er.
Fräulein Honigohr seufzt unhörbar. Himmel. Was bringen sie den Neuen heutzutage eigentlich bei? „Willst du einen Kaffee? Ich glaube, du könntest einen brauchen, oder?“ Sie lächelt einladend.
Der kleine Mann fliegt fast, so schnell läuft er die Dachziegel hoch. Seine Flügel schleifen hinter ihm her. Er stürzt sich in Fräulein Honigohrs Arme.
„Du bist aber anschmiegsam“, quetscht sie hervor und spuckt eine Feder aus. „Ist gar nicht so einfach, heutzutage Liebe zu verkünden, was?“
„Du hast ja keine Ahnung“, flüstert der kleine Mann.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden! Sie laufen wieder, hurra, die Sommerpause ist vorbei! Vielen Dank für die Organisation, Christiane, ich freu mich. Wortspender war Ludwig Zeidler, die drei unterzubringenden Worte waren Brechreiz, anschmiegsam und buchstabieren, und es durften nicht mehr als 300 Worte sein. Ich habe 298. 😊

Dein Schweinehund und die Schreibkrise

Du legst deinen Kopf aufs Tischtuch und seufzt leidenschaftlich vor dich hin. Was sollst du nur tun? Soviele Etüden zu schreiben und was ist in deinem Kopf? Ein Flohzirkus. Oder nichts. Und das immer abwechselnd. Wobei die gähnende Leere schlimmer ist als der Flohzirkus, da bist du wenigstens abgelenkt. Seit Jahren hast du nicht mehr so selten geschrieben wie in den letzten Wochen. Was waren das für wunderbare Zeiten, als du sogar morgens in der Regionalbahn Gedichte geschrieben hast! Du lässt deinen Kopf ein paarmal auf die Tischplatte plumpsen und schielst vorsichtig zu deinem Schweinehund hinüber, der dich nicht beachtet. Das ist wieder typisch, du leidest vor dich hin und dein Schweinehund sitzt im Liegestuhl auf dem Balkon und schlürft geräuschvoll Aperol Spritz. Er lässt den Strohhalm in sein Glas fallen und richtet sich auf.
„Was?“ fragt er durch die offene Balkontür und schiebt die Sonnenbrille hoch.
„Du bist echt nicht hilfreich“, sagst du vorwurfsvoll und legst dich mit beiden Armen schwer auf den Tisch. „Wie wenig wir uns doch kennen!“
Dein Schweinehund guckt verwundert. „Wieso? Natürlich kenne ich dich! Was ist denn?“
„Ich leide!“ sagst du nachdrücklich und lässt deinen Kopf auf die Arme fallen. Er fühlt sich sehr schwer an.
„Ach, Quatsch“, sagt dein Schweinehund, lehnt sich zurück, schiebt die Sonnenbrille wieder nach vorn und nimmt einen Schluck Aperol Spritz.
„Siehst du? So ist das immer!“ Du klingst weinerlich. „Nie bist du da für mich, wenn ich dich brauche. Ich habe die größte Schreibkrise seit ever, und was tust du? In der Sonne braten und massenhaft Alkohol trinken!“
Dein Schweinehund wedelt mit der Pfote. „Das ist heute erst mein Dritter. Du bist bloß neidisch.“
„Neidisch? Worauf sollte ich denn neidisch sein?“ Deine Stimme klingt ein bisschen gequetscht, es ist schwierig mit abgeknicktem Oberkörper sarkastisch zu sein, aber das hält dich nicht auf. „Vielleicht darauf, dass du in aller Herrgottsfrühe schon ekelhaft gut gelaunt bist? Oder dass du seit Stunden im Schatten sitzt, Aperol Spritz trinkst und es dir gut gehen lässt, während ich hier verzweifle?“ Du stützt deinen Kopf auf die Hände und starrst deinen Schweinehund anklagend an.
Er starrt zurück. Zumindest nimmst du das an, er hat ja immer noch die Sonnenbrille auf. Schließlich steht er auf, stellt seinen Aperol Spritz auf den Balkontisch und stapft ins Wohnzimmer. Er setzt sich neben dich und legt dir bedeutsam eine Pfote auf die Schulter. „Du spinnst ja“, sagt er, „jetzt hör mal auf, solche Kulleraugen zu machen und reiß dich zusammen.“
Du schnaufst entrüstet und willst etwas sagen, aber er lässt dich nicht zu Wort kommen.
„Ich tue bloß das, was ich am besten kann, und du könntest es mir ja ein einziges Mal nachmachen, anstatt in Selbstmitleid zu versinken.“
„Was? Was soll ich nachmachen?“ rufst du noch viel entrüsteter.
„Nichtstun. Tu doch einfach mal nichts!“ Dein Schweinehund klopft dir auf den Rücken und du fällst fast vom Stuhl. „Trink einen Aperol Spritz mit mir! Guck in den Himmel! Und denk nicht dauernd darüber nach, wie er aussieht und wie du das aufschreiben kannst. Guck ihn einfach an!“
Du bist sprachlos.
Dein Schweinehund nickt zufrieden. „Weisst du, man muss wirklich nicht dauernd etwas tun. Manchmal reicht es auch schon, einfach vor sich hinzugucken.“
„Das hat doch diese schwedische Schriftstellerin gesagt…“ erwiderst du matt.
„Na, da hat sie aber von mir geklaut“, sagt dein Schweinehund. „Ich gehe jetzt wieder nach draußen. Kommst du mit?“
„Ich überleg noch ein bisschen“, sagst du. Du spiegelst dich in seiner Sonnenbrille. Du siehst ziemlich müde aus.
Dein Schweinehund zuckt mit den Achseln. „Bring Eis mit, wenn du kommst, meins ist geschmolzen.“
Du siehst ihm hinterher. Eine kleine Brise zerzaust sein Fell, als er wieder in den Liegestuhl sinkt.
Vielleicht solltest du eine Sommerpause machen, denkst du, aber vorher probierst du es nochmal mit einer letzten Etüde. Das wäre doch gelacht.

Das war ein Beitrag zum Etüdensommerpausenintermezzo 2022, 7 aus 12 plus den Satz „Wie wenig wir uns doch kennen“. Ich habe sieben Worte untergebracht, ich habe dreimal nachgezählt. 😊 Vielen Dank an Christiane, die das alles organisiert! Und nun werde ich tatsächlich in die Sommerpause gehen und in den Himmel gucken, aus gut gefüllten Gläsern mit viel Eis nette Dinge schlürfen und den Sommer genießen. Außer, mir fällt doch noch was ein, was aufgeschrieben werden will. Dann lesen wir uns. 😊