Philosophierereien

Die Dinge, die am einfachsten zu bekommen sind, haben ein schlechtes Image. Angetrocknetes, geschnittenes Brot zum Beispiel. Es ist da, aber ist es verlockend oder nur der bequemste Weg, satt zu werden? Luxusfragen, ich weiß.
Oder Kirchen: Nehme ich den Raum und die Akustik wahr? Oder das komplexe System aus Glaube, Hoffnung, Liebe, das auch im Raum schwebt?
Das Wort Paradies ist in meinem Sprachschatz fest mit dem Wort Perfektion verbunden. Alles ist perfekt, alles funktioniert, nichts muss. Und dann frage ich mich, ob ich eigentlich jemals nachdenke? Perfektion ist Vollendung, Abgeschlossenheit, alles ist fertig. Wenn aber alles fertig ist, wo bin ich da drin? An mir ist gar nichts vollendet. Da stelle ich mir lieber vor, dass das Paradies entweder ein Ort ist, an dem es immer etwas Sinnvolles, Schönes zu tun gibt oder dass es so weit außerhalb meines Vorstellungsvermögens liegt, dass ich nicht weiter darüber nachdenken muss.
Oft taucht in meinem Kopf das Paradies aka „der Himmel“ als verbesserte Version der Erde auf. Vermutlich lacht Gott jedes Mal, wenn ich wieder darüber nachdenke, wer im Himmel eigentlich das Bad putzt. Einerseits ist der Gedanke surreal, andererseits: Wer bin ich, dass ich bestimme, dass niemand gern Bäder putzt? Ich kenne genau mich und dann noch etwa 45 weitere Menschen. Alle anderen kenne ich nicht. Die Frage, wessen Glück darin liegen könnte, Bäder zu putzen, habe nicht ich zu beantworten.
Überhaupt, die Frage nach dem Glück. Glück ist flüchtig wie Seifenblasen. Gerade da, schon wieder weg. Aber ich sehne mich nach dem Moment der perfekten (da haben wir es schon wieder!), schillernden Blase, bevor sie zerplatzt und produziere immer neue Blasen. Was, wenn die Erinnerung an den glücklichen Moment genauso gut ist wie der Moment selbst? Denn selbst im Moment des größten Glücks ist es angegriffen durch das Wissen um seine Vergänglichkeit.
Man könnte sich Orte suchen, an denen das Glück wohnt. Sehnsuchtsorte, an denen etwas an einem zerrt und an denen man gleichzeitig gestreichelt wird, an denen die Ruhe wohnt und von denen aus man wieder in die Welt aufbrechen möchte. Glücksorte. Sie sind gut versteckt. Man muss nach ihnen suchen wie nach Ostereiern. Sie haben etwas paradiesisches und das ist gut. Es bedeutet nämlich, sie haben eine Pforte, durch die man eintreten kann.

Kleine Liebeserklärung

Heute ist der Welttag des Buches – ein Grund, diesen Text von 2017 noch einmal zu posten. Es hat sich nichts geändert. 🥰

Zu Weihnachten habe ich ein Buch geschenkt bekommen. Es sind lauter kleine Schnipsel von Astrid Lindgren, Sätze aus ihren Büchern, Interviewabschnitte, Leserbriefe, die sie geschrieben hat, Erinnerungen aus ihrem Leben.

Es gibt in dem Buch ein Kapitel über das Lesen, und darin stehen alle Gründe, aus denen ich angefangen habe zu lesen und seitdem nie wieder damit aufgehört habe. Als Kind liest man anders, und die Intensität, mit der ich damals die Geschichten verschlang, ist heute so nicht mehr da. Was bleibt, ist die Erinnerung daran, wie es sich anfühlte, gemeinsam mit den fünf Freunden bei Blitz und Donner Zuflucht in einer Felsenhöhle zu finden, naß bis auf die Haut, um dann Dosenpfirsiche zu essen. Oder zu wissen, wie ein Sommerabend riechen muß, wenn man mit Kalle Blomquist unterwegs war: Nach warmem Teer unter den Füßen und lauer Luft, in der eine Spur Heuaroma liegt.

Ich weiß auch noch ganz genau, wie neue, ungeöffnete Bücher sich mir in die Hände schmiegten, voller Verheißungen, Abenteuern und noch unbekannten Freunden, die ich bald genauso gut kannte wie mich selbst. Ein solches ungeöffnetes Buch war immer von einem leisen Zauber umgeben. Ich erinnere mich, wie ich nichtsahnend den ersten Band vom Herrn der Ringe öffnete, anfing zu lesen und verschlungen wurde vom Auenland und den Elben, verloren für alle Zeit an sagenhafte Welten, in denen alles möglich ist.

Mittlerweile habe ich sehr, sehr viele Bücher gelesen. Vielleicht bin ich heute manchmal zu schnell, weigere mich, konsequent einzutauchen, aber das ist keine Katastrophe. Es gibt Bücher, die haben das Potential, und dann passiert es ganz von selbst, das Eintauchen.

Ich bin immer noch begeistert. Wie für Astrid Lindgren sind Bücher auch für mich Brot und Salz, und ich glaube nicht, dass sich das in diesem Leben noch einmal ändern wird. Und deswegen werde ich mutig, entschlossen und unbeirrt weiterlesen, Romane, Fantasy, Krimis, immer auch Jugendbücher und Kinderbücher und Gedichte, ja, Gedichte ganz unbedingt. Nichts kann einen so ins Herz treffen wie die richtigen Worte, wenn sie kompakt und auf ganz bestimmte Art und Weise aneinandergereiht sind. Am Anfang war das Wort. Und in meinem Himmel muss es eine Bibliothek geben. Es kann sonst einfach nicht der Himmel sein.

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Glück ist wie Ohropax

Manchmal ist alles zuviel. Das Telefon klingelt. Auf dem Flur klappern Absätze. Deine Kollegin ißt einen Apfel. Dein Chef monologisiert nebenan. Telefonate hallen an den Wänden entlang. Die Flurtür geht alle fünf Minuten auf und zu. Der Kopierer rauscht. Ein zoom-Meeting findet im Büro neben dir statt. Vor dir stapeln sich die unerledigten Aufgaben, aber in deinem Kopf rauscht es. Und dann kommt das Ohropax. Wie verheißungsvoll es sich zwischen deine hektischen Finger schmiegt und jede Form annimmt, die du willst! Der Moment, wo du es am Rande deiner Kräfte erst ins eine Ohr, dann ins andere drückst. Und dann: Das pure Glück, wenn es sich ausdehnt und die Aussenwelt draussen hält, wenn die himmlische Stille langsam in deinen Kopf sickert und sich ausbreitet wie weicher Nebel. Die unglaubliche Stille, der Friede. Ja. Glück ist definitiv wie Ohropax.

So fühlt sich Stille an.

Was besser ist, als das Treppenhaus sauber zu machen

  • spontan beschließen, einen Ausflug zu machen
  • ans Meer fahren
  • wie der Nordwind an den Haaren zupft
  • wie das Watt im Wind knistert
  • wie die kleinen Wellen flüstern
  • Schlamm zwischen den Zehen haben
  • einen Batman-Drachen bewundern
  • mit der Flut an Land gespült werden
  • dösen mit der Sonne im Rücken
  • nach Hause fahren, ohne den Tag wie eine Zitrone ausgequetscht zu haben
  • glücklich durchs unsaubere Treppenhaus gehen

Ich bin verwachsen

ich bin verwachsen
mit Prilblumen
Sommerrasensprengern
Waschküchen voll nasser Schuhe
bin verwoben
in Karottenhosen
gestärkten Geschirrhandtüchern
Lampenputzertapeten
verflochten
mit Lockenwicklern
Erdbeermarmeladebroten
frisch gemachten Betten
bin durchtränkt
von Dallas und Magnum
Sahnesaucenkohlrabi
und Zitronenbuttermilchpudding
ich bin verbunden
mit Blaumännern
Agfafotofarben
all dem kleinen Glück

Ich bin wieder da! Und umgezogen. Und habe noch ein paar Schwielen an den Händen vom Streichen, Tapezieren, Schleifen, Bohren, Schleppen, Kartons ein- und auspacken… und nun gewöhne ich mich gerade ein und versuche, abends den richtigen Weg nach Hause zu finden. Es kommt mir manchmal noch vor wie ein komischer, langer Urlaub mit all meinem Kram… ein schöner Urlaub. 🙂 Und nun freue ich mich darauf, wieder am Netzleben teilzunehmen!

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Dienstag ist Gedichtetag. Wer sich anschließen will, ist herzlich willkommen! Mit dabei sind:

Mutigerleben
Wortgeflumselkritzelkrams
Werner Kastens
Nachtwandlerin
Gedankenweberei
Erinnerungswerkstatt
Lebensbetrunken
Dein Poet
Geschichte/n mit Gott
Suses Buchtraum
Wortmann
Traumspruch
Lyrik trifft Poesie
Voller Worte

Fräulein Honigohr badet im Sommer

Fräulein Honigohr sitzt im Schneidersitz auf dem Rasen und streichelt abwesend über die Gänseblümchen, die sich ihrer Hand entgegenstrecken. Herr Brummeck liegt neben ihr, schwitzt leise vor sich hin und stöhnt ab und zu über die Hitze, dann ist er wieder still und hört ihr zu.
Sie recherchiert Möglichkeiten. „Wir könnten draußen übernachten“, sagt sie, „oder wir machen eine Mondwanderung! Stell dir vor, wie der Mond sich silbern auf dem Fluß spiegelt! Wäre das nicht herrlich? Oder wir kochen schwedisch und picknicken auf einer Waldlichtung! Vielleicht gibt es schon Walderdbeeren…“ Sie lächelt versonnen.
„Aber nur mit Picknickdecke“, sagt Herr Brummeck träge, „die Ameisen haben mich beim letzten Mal fast aufgefressen.“
„Nur, weil du dich auf sie drauf gesetzt hast. Das war reine Notwehr.“
„Hm“, macht Herr Brummeck und wischt sich eine Schweißperle von der Nase.
„Wir könnten einen Flohmarkt besuchen oder eine Wanne mit kaltem Wasser rausstellen und die Füße reinhalten und ein Eis essen. Oder wir bauen ein Floß und fahren den Fluß hinunter. Oder wir fahren ans Meer und gehen schwimmen!“ Fräulein Honigohr kann nicht anders, sie muss dauernd lächeln. Es ist Sommer!
„Schwimmen?“ Herr Brummeck richtet sich auf und wirft einen Blick auf den See. Er guckt Fräulein Honigohr an und grinst. Es sieht verwegen aus.
„Nein! Das machst du nicht! Lass das! Iiiiieeeck!“ Fräulein Honigohr kreischt, aber es hilft ihr nichts: Herr Brummeck hat sie über die Schulter geworfen wie einen Sandsack und läuft mit ihr auf den Steg zu. Im Laufen ruft er: „Wir könnten auch ins Wasser springen!“ Und dann springt er.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, sehr kurz vor knapp, aber eher gings nicht, ich funktioniere nämlich ab 26° nicht mehr vollständig, und die letzte Woche lag da aber sowas von drüber! Herrje. Wo war ich? abc-Etüden. Dieses Mal kam die Wortspende von Ellen mit ihrem Blog nellindreams, einzufügen waren die Worte Picknickdecke, recherchieren und verwegen und organisiert wird das Ganze von Christiane – vielen lieben Dank dafür! Und jetzt geh ich ein Eis essen. 😊

Anleitung für Alltags-Knusper

Anleitung für Alltags-Knusper

Man nehme:
1 Handvoll Morgenknurrigkeit
2 Eßlöffel Eisluft
fragendes Vogelgezirp nach Belieben
1 Teelöffel „ich-habe-einen-Brief-bekommen“ Freude
1 Prise Winkelgassengedanken
zuletzt streue man großzügig Gedichtbrocken ein (die kantigen!)
rühre kräftig und röste mit Sorgfalt.

Vielseitig anwendbar.
Vorsichtig dosieren!
Kann Glücksreaktionen verursachen.

Für besondere Wirksamkeit wurde von verschiedenen Köchinnen das Einrühren von Katzenschnurren empfohlen. Noch nicht ausreichend getestet, daher ist Vorsicht beim Probieren geboten! 😊

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Dienstag ist Gedichtetag. Wer sich anschließen will, ist herzlich willkommen! Mit dabei sind:

Mutigerleben
Wortgeflumselkritzelkrams
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Wortmann
Traumspruch
Lyrik trifft Poesie
Voller Worte

Ausgelesen: Als Larson das Glück wiederfand. Von Martin Widmark und Emilia Dziubak

Es gibt Bilderbücher und Bildbände, und dann gibt es noch die ganz, ganz wunderbaren Bilderbücher, bei denen man beim Ansehen denkt, oh meine Güte, wo könnte ich dieses Bild herbekommen, damit ich es rahmen, an meine Wand hängen und es dann jeden Tag etwa hundertmal ansehen kann? Zu diesen Bilderbücher gehört Als Larson das Glück wiederfand. Dieses Buch hat außerdem das große Glück, dass nicht nur die Illustrationen traumhaft schön sind, sondern auch der Text, und beides zusammen ergänzt sich, windet sich umeinander, beflügelt sich zur nächsten poetischen Seite, und so entsteht bei jedem Umblättern etwas Neues.

Wir lernen Larson kennen, einen grantigen, einsamen alten Herrn, der sich tief in sich zurückgezogen hat. Seine Frau ist gestorben, seine Kinder wohnen woanders und er trauert. Sein Haus trauert mit ihm und träumt von vergangenen, helleren Tagen.

Zeichnungen und Text spielen miteinander, was der Text nicht sagt, zeigen die Bilder, was die Bilder nicht sagen können, erzählt der Text. Ich habe selten etwas schöneres gesehen.

Dann wird Larson gestört. Wer wagt es, ihn in seinem selbstgewählten Exil zu stören? Vor der Tür steht ein kleiner Junge, der ihm einen Blumentopf in die Hand drückt und ihn bittet, sich um ihn zu kümmern, während er im Urlaub ist. Dann verschwindet er und lässt Larson mit dem Topf voller Erde zurück, der jeden Tag gegossen werden muss. Larson ist nicht begeistert, aber gegossen werden muss der Topf ja nun. Der Junge wäre sonst traurig, und das geht nicht, das erklärt sich von selbst.
Während Larson die Erde gießt, ändert sich etwas. Vielleicht gießt er auch sich selbst, auf jeden Fall öffnet er die Fenster und lässt Licht und Luft in sein Haus. Er fängt an, aufzuräumen und die Fenster zu putzen, und während die kleine Blume wächst, kommt sein Kater zurück und Herr Larson vergisst zum ersten Mal, seiner toten Frau Gute Nacht zu sagen.

Als der kleine Junge aus dem Urlaub zurückkommt, blüht nicht nur seine Blume, sondern auch Larson, und eine der schönsten Geschichten über Trauer und das Zurückkommen ins Leben, die ich je gelesen habe, ist zu Ende. Unaufdringlich, leise erzählt, bildgewaltig und gleichzeitig hochemotional – ich bin sogar beim Schreiben dieses Textes wieder gerührt. Sehr große Empfehlung für alle, die schöne und gut gemachte Bücher lieben, und auf gar keinen Fall nur für Kinder.

10 Glückseligkeiten an einem sonnigen Nachmittag

Und dann war Sonntag nachmittag, das Wetter war schön, die kleinen grünen Blätter leuchteten vor dem blauen Himmel und die Bank war frei – was will man mehr? Mehr geht kaum. 🙂
(*klick* für Vergrößerung)

Der Dienstag dichtet! 🙂  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Ok, kein richtiges Gedicht bei mir diese Woche, aber irgendwie zählt das auch, oder? Auch Wortgeflumselkritzelkram, Mutigerleben, Werner Kastens, Findevogel, die Wortverzauberte, Ein Blog von einem Freund, Lyrikfeder und die Nachtwandlerin sind mit von der Partie. Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

heute morgen erschrak ich

heute morgen erschrak ich
da summte ein kleines Lied in mir
einfach so
stieg es nach oben
verscheuchte den Missmut
schubste die Müdigkeit zur Seite
breitete sich aus
wurde warm in mir
ehe ich mich wehren konnte
füllte es meine Kehle
drang über meine Lippen
und sang
ich ergab mich kampflos
wurde besungen
glücklich vertont
das kleine Lied ging
ich blieb
es war hell

Der Dienstag dichtet!  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch Wortgeflumselkritzelkram, Mutigerleben und Werner Kastens sind mit von der Partie. Wer den Dienstag also mit Gedichten beginnen will: Herzlich willkommen!