Wenn du nach Hause fährst, also richtig nach Hause, in das Kindheitszuhause, dann passiert etwas seltsames mit den Dingen. Je näher du kommst, desto mehr Licht bekommt alles, sogar die Rinnsteine der Bürgersteige haben plötzlich einen goldenen Glanz. Der uralte, verrostete Kaugummiapparat an der Außenwand des Gasthofs schimmert glänzend, vom Gasthof, in dem du deine erste Tanzstunde hattest, ganz zu schweigen. Alles, was schon immer da war, ist von diesem ganz besonderen, milden Schein umgeben, als ob der verkrümmte Baum an der Einfahrt oder das zerfallene Mäuerchen im Nachbarsgarten von innen heraus leuchten würden.
Manchmal meinst du sogar zu hören, dass die Dinge dir Sätze zuraunen, wie „schön, dich zu sehen“, oder „erinnerst du dich?“ Ja, du erinnerst dich. An wunderbare und weniger wunderbare Zeiten, und dann merkst du, wieviel Geschichte du selber schon in dir hast, und freust dich, denn selbstverständlich ist das nicht.
Und dann merkst du, dass es auch Menschen gibt, die diesen Glanz für dich haben. Sie tragen eine kleine, goldene Borte um sich herum, wann immer du sie siehst. Ob das immer so ist, wenn man das Glück hat, älter zu werden? Ob alles mit der Zeit mehr Tiefe, mehr Inhalt bekommt, vielschichtiger wird?
Natürlich kann es passieren, dass Dinge verschwinden und Menschen gehen. So ist das im Leben. Aber die Erinnerung daran, die kannst du im Herzen festhalten und bewahren. Du weißt, du solltest trotzdem immer mal wieder neue Dinge und neue Menschen in dein Herz lassen und ab und zu kräftig durchlüften. Sonst wird aus schöner Erinnerung irgendwann eine fest verschlossene, stickige Kassette, die niemandem nützt, auch dir nicht. Lass den Deckel der Kassette offen, damit der goldene Glanz hervordringen kann.
Das ist Lebenskunst.

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