Gesang

Töne steigen auf
im Kerzenlicht
verweben sich
formen goldene Wolken
fließen umeinander
schweben hoch
um herabzusinken
spielen mit den Säulen
werfen sich
elegant von Wand zu Wand
bis alles hell und klar ist
Licht im warmen Dunkel
Honigtöne flüstern
wo warst du solange?

Es gibt Orte, die sind Herzensorte, und wenn man zu ihnen zurückkehrt, manchmal nach längerer oder sehr, sehr langer Zeit, ist es wie nach Hause kommen.

Der Dienstag dichtet! 🙂  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch Wortgeflumselkritzelkram, Mutigerleben, Werner KastensFindevogel, die Wortverzauberte und  Ein Blog von einem Freund sind mit von der Partie. Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

Novemberwind

der Novemberwind kennt Unbehaustheit
raschelt schwermütig
durch blätterkühle Kellerschächte
lauscht in dunkle Stillen
wartet vor den hellen Fenstern
schaut uns zu
beim Haschen nach Heimat

Das war ein Beitrag zu den Etüden: Drei Begriffe in maximal 300 Worten (dieses Mal völlig problemlos unterschritten 🙂 ) Vielen Dank, Christiane, für das Organisieren und alles andere! Die Wortspende kommt dieses Mal von Bernd mit seinem Blog Red Skies over Paradise. Die Begriffe lauteten:

Unbehaustheit
schwermütig
haschen

Und das war ´ne ganz schön steile Vorlage, mein lieber Schwan…

Heimat

Heimat

grüne Weiden
blauer Himmel mit Schäfchenwolken
rote Backsteinhäuser mit (meist) gepflegten Vorgärten
mit ausreichend Platz zum nächsten
kleine uralte Dörfer mit grünen Ortsschildern
grasende Schwarzbunte
tuckernde Trecker
freundlich-neugierige Menschen
mit gebührender Distanz
und breitem Akzent
oder gleich auf Platt
Tee auf Stövchen
knisternde Kluntjes im Porzellantässchen
mit aufsteigenden Wulkjes
Wallhecken
Kennzeichen EMD, AUR, LER
würziger Kindheitsgeruch von Kuhfladen
flaches Land
Weite
durchatmen

Nach (ziemlich) langer Zeit mal wieder ein Text von Himmelgraublau – ich freu mich, vielen Dank! 🙂

Wenn man nach Hause fährt

Wenn du nach Hause fährst, also richtig nach Hause, in das Kindheitszuhause, dann passiert etwas seltsames mit den Dingen. Je näher du kommst, desto mehr Licht bekommt alles, sogar die Rinnsteine der Bürgersteige haben plötzlich einen goldenen Glanz. Der uralte, verrostete Kaugummiapparat an der Außenwand des Gasthofs schimmert glänzend, vom Gasthof, in dem du deine erste Tanzstunde hattest, ganz zu schweigen. Alles, was schon immer da war, ist von diesem ganz besonderen, milden Schein umgeben, als ob der verkrümmte Baum an der Einfahrt oder das zerfallene Mäuerchen im Nachbarsgarten von innen heraus leuchten würden.

Manchmal meinst du sogar zu hören, dass die Dinge dir Sätze zuraunen, wie „schön, dich zu sehen“, oder „erinnerst du dich?“ Ja, du erinnerst dich. An wunderbare und weniger wunderbare Zeiten, und dann merkst du, wieviel Geschichte du selber schon in dir hast, und freust dich, denn selbstverständlich ist das nicht.

Und dann merkst du, dass es auch Menschen gibt, die diesen Glanz für dich haben. Sie tragen eine kleine, goldene Borte um sich herum, wann immer du sie siehst. Ob das immer so ist, wenn man das Glück hat, älter zu werden? Ob alles mit der Zeit mehr Tiefe, mehr Inhalt bekommt, vielschichtiger wird?

Natürlich kann es passieren, dass Dinge verschwinden und Menschen gehen. So ist das im Leben. Aber die Erinnerung daran, die kannst du im Herzen festhalten und bewahren. Du weißt, du solltest trotzdem immer mal wieder neue Dinge und neue Menschen in dein Herz lassen und ab und zu kräftig durchlüften. Sonst wird aus schöner Erinnerung irgendwann eine fest verschlossene, stickige Kassette, die niemandem nützt, auch dir nicht. Lass den Deckel der Kassette offen, damit der goldene Glanz hervordringen kann.

Das ist Lebenskunst.