Möbelaufbau

Boah. Wenn ich eins hasse, dann ist es, Möbel zusammenzubauen. Jemand aus der Hölle muss sich das ausgedacht haben, ‚haha, und dann lassen wir sie Möbel kaufen, aber SIE SIND NICHT ZUSAMMENGEBAUT! Das müssen sie selber tun, was meinst du, wieviel wunderbaren Streit und Frust wir ernten werden! Das wird ein Fest!‘ Und genauso ist es. Diese Millionen kleinen Teile in Millionen kleinen Tüten, und garantiert fehlt später irgendwo eins, und genauso garantiert werde ich eins der vorgebohrten Löcher zu klein vorfinden (oder ich habe die falsche Schraube, aber lassen wir das). Und dann diese leutseligen Blicke vom Aufbauhelfer! Wenn der schon anfängt mit ‚gucken Sie mal, hier muss das rein, haben Sie nicht gesehen, was?‘, dann fange ich an, vor mich hin zu qualmen. Ich weiß, die müssen auch solche Möbelaufbautotalversager wie mich integrieren, aber trotzdem, wenn der noch einmal gönnerhaft von oben auf mich herabblickt, weil ich wieder das falsche Teil gegriffen habe, bringe ich hier jemanden um, ich schwör´s. Und es ist überhaupt nicht meine Schuld, wenn diese dumme Stellschraube eine Umdrehung zuviel nicht aushält! Was kann ich dafür, wenn das nicht stabil genug für Laien gefertigt wird! ICH wollte dieses Möbel nicht, ICH hätte gut darauf verzichten können, aber nein, ‚komm, lass uns zu Ikea fahren, die haben da echt schöne Sachen!‘ Ja, genau, in Einzelteilen, direkt aus der Hölle!
Jetzt haben sie mich rausgeworfen. Ich soll Kaffee kochen oder irgendwas anderes Sinnvolles tun. Was mache ich jetzt? Hm. Das Neuschwanstein-Puzzle ist noch nicht fertig, 1500 Teile sind ’ne Herausforderung, aber ich weiß, ich schaff das. Neuschwanstein forever! Puzzeln ist toll!

Ich bin zu spät für die Mai-Etüde, ich habe es verpasst, der Mai war zu voll. Tja. Aber da ich die Worte toll finde, kommt hier ein kleines Textchen als Nachtrag. Teilnahmebedingungen siehe Bild oben, die Wortspende kam von Christiane höchstselbst. Vielen Dank!

Der Trotz kommt zu Besuch

Der Trotz kommt zu Besuch. Hilfe! Du erinnerst dich noch vom letzten Mal daran, wie er aussieht und richtest schnell dein Haar, ziehst deine Lieblingsjeans an und kochst Kaffee. Beim letzten Mal hat er nichts davon bemerkt, aber egal, du willst einen guten Eindruck hinterlassen.
Als du die Tür öffnest, rauscht er hindurch, ohne dich richtig zu begrüßen. Seine blauen Augen blitzen, seine Haare wehen wie im Sturm, er elektrisiert die Luft. Du bist hingerissen. Er bleibt im Wohnzimmer stehen und gestikuliert mit seinem Gehstock. „Und dann hat er verlangt, dass ich mich ändere, kannst du dir das vorstellen? Ganz bestimmt werde ich das nicht tun! Warum sollte ich das tun? Bin ich etwa nicht gut genug, so wie ich bin? Wie kann er es wagen! Unglaublich!“ Er stampft mit dem Fuß auf, und du weißt, eigentlich solltest du das lächerlich finden, ein erwachsener Mann, der wie ein trotziger Junge mit dem Fuß aufstampft, aber er sieht so gut aus dabei! Du versuchst, ihm Kaffee anzubieten, aber er ist mit sich und seiner Empörung beschäftigt. „Wenn er meint, mir gute Ratschläge geben zu müssen, dann wird er auf meine Gesellschaft verzichten müssen! Ich werde ihm nicht die Last meiner Anwesenheit aufbürden!“
„Naja“, versuchst du einzubringen, weil du weißt, wie lange die beiden schon befreundet sind, aber du wirst nicht erhört. Der Trotz redet sich immer mehr in Rage und entscheidet dann, das alles würde er seinem Freund jetzt persönlich sagen. Er legt dir kurz die Hand auf die Schulter und bedankt sich für das Gespräch und du schmilzt dahin, obwohl du für das bevorstehende Gespräch das schlimmste fürchtest. Und obwohl es überhaupt kein Gespräch gab, der Trotz hat seinen üblichen Monolog gehalten. Wie macht er das bloß immer, fragst du dich, als du ihm durchs Flurfenster nachsiehst, während er seinen Gehstock durch die Luft schleudert und der Kies unter seinen Schritten davonspringt. Vielleicht bist du ein kleines bisschen neidisch auf die Unmittelbarkeit seiner Gefühle. Man stelle sich vor, er würde mit derselben Intensität lieben! Aber dazu wird es nicht kommen. Er ist mit sich beschäftigt, so wie immer. Schade eigentlich.

Der Trotz

Der Trotz ist ein gutaussehender junger Mann. Seine Haare stehen in alle Richtungen zu Berge und wippen bei jeder Bewegung, der Traum jeder Frau. Man könnte eifersüchtig werden auf diese Haare! Seine Augen sind eisblau und gucken dauerempört in die Welt, man sieht quasi, wie sie blitzen, wenn er mit dem Fuß aufstampfend seinen Zylinder abnimmt, um ihn mit der rechten in die linke Hand zu schlagen. Natürlich nur, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen! Der Trotz trägt einen massgeschneiderten grauen Anzug mit Weste. Er sieht ein bisschen aus wie aus einem Jane Austen Roman entlaufen, aber er würde nur abschätzig auflachen, wenn er von diesen Gedanken wüsste. Seine Bewegungen sind exaltiert, wenn er wütend ist (und das ist er oft), manchmal auch abgehackt. Natürlich ist er dünn, er ißt ja auch nie etwas, weil es immer etwas gibt, über das er sich aufregt und gegen das er sich verteidigen muss, lauter Angriffe auf seine Person. Wenn er nicht so mit sich selbst beschäftigt wäre, würde er die Blicke der Frauen bemerken, aber es ist aussichtslos. Er ist der Trotz.

Anders Leben

Auf dem Heimweg ist alles wie immer. Der Rucksack hängt schwer auf meinen Schultern, die Luft ist kühl, ich bin müde und unkonzentriert und denke über das Abendessen nach. Vielleicht könnte ich Kartoffeln mit Sauce Hollandaise machen? Und dazu ein paar Bohnen? Oder doch lieber eine schnelle Pizza? Als direkt über mir ein Vogel trotz der kühlen Abendluft singt, blicke ich nach oben und dann überrascht nach links und rechts. Hier gehe ich sonst aber nicht lang! Wie ist das denn passiert? Ich bin vom rechten Weg abgekommen und finde mich nicht zurecht. Gewesen bin ich hier schon, das sind Straßen in der Nachbarschaft, aber sie sehen so anders aus! Die Häuser haben viel mehr Farbe als sonst, und die Konturen sehen aus wie in einem Comic, alles schwarz umrandet mit zu heftigen Schattierungen.
Vorsichtig gehe ich ein paar Schritte weiter. Theoretisch wüsste ich, wo es nach Hause geht, aber auf einmal will ich noch nicht nach Hause, da kenne ich schon alles. Das hier dagegen sieht wunderbar fremd aus. Eine große Lust zu spielen breitet sich in mir aus. Wenn das ein Comic ist, dann kann ich alles, was eine Comicfigur kann, oder? Probeweise versuche ich meine Arme länger werden zu lassen, aber nichts passiert. Schade. Aber ich kann von einer Ecke zur nächsten springen, in riesigen Sätzen, das macht Spaß und geht sehr schnell, ich komme mir ein bisschen wie Spiderwoman vor, und dann versuche ich, auf einen Baum zu springen, aber das geht nicht und ich falle aus den Ästen direkt in eine Pfütze unter den Baum. Und falle hindurch auf die andere Seite der Pfütze, plötzlich bin ich spiegelverkehrt und mein Kopf ist unten anstatt oben. Vorsichtig beuge ich mich nach oben und tippe die Pfütze mit dem Finger an. Kaleidoskopartige Wellen breiten sich aus, meine Welt und die seitenverkehrte Welt schwappen ineinander, und mit einem leicht komischen Gefühl im Magen stürze ich mich zurück auf meine Seite und tauche keuchend auf.
Ich sehe mich um. Nichts hat sich verändert. Ich bin trocken, die Straßen sehen normal aus und es sind nur ein paar hundert Meter bis zu meiner Wohnung. Aber die Pfütze vor mir schwappt leise und unter der Oberfläche sehe ich die Comicwelt mit ihren scharfen Schattierungen. Breit lächelnd mache ich mich auf den Heimweg.

Termin im Institut für experimentelle Lebensgestaltung: Sonntag, 19.03.2023, 09.30 Uhr

„Guten Morgen“, sagt die Frau, die an einem großen Tisch sitzt. Es ist viel Platz um sie herum, und ich zögere kurz, bevor ich mich ihr gegenüber setze. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Die Frau wirkt nicht experimentierfreudig. Sie trägt einen schwarzen, schlichten Hosenanzug, ist dezent geschminkt und hat ihre Haare zu einem strengen Zopf gebunden. Ziemlich konservativ, denke ich. Und dazu auch noch Perlenohrringe! Das einzig auffällige an ihr sind die Fingernägel. Sie sind kurz geschnitten und jeder Nagel hat eine andere Farbe, rot, grün, blau, lila, gold, schwarz, weiß, pink, gelb und auf dem kleinen Fingernagel links ist ein Gänseblümchen auf grünem Grund gemalt.
„Mein Name ist Schmidt“, sagt die Frau und lächelt. „Was kann ich für Sie tun?“ Sie faltet die Hände vor sich. Ich habe das deutliche Gefühl, sie genießt den Augenblick.
„Äh“, sage ich. Was wollte ich hier?
„Ich denke, Sie möchten experimentierfreudiger werden“, sagt die Frau freundlich.
„Stimmt“, sage ich und versuche, nicht auf die Perlenohrringe zu schauen.
„Haben Sie bestimmte Absichten?“ fragt die Frau.
„Absichten?“ Ich verstumme. Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt keine Vorstellung von dem, was ich will, ich weiß nur, dass ich mit dem Ist-Zustand unzufrieden bin.
„Also keine. Wie sieht es mit Ihrer Voreingenommenheit aus?“
Mein Blick fällt auf die bunten Fingernägel. Sofort gucke ich weg. „Äh…“ sage ich.
„Aha“, sagt die Frau. „Na, dann fangen wir doch mit dem einfachsten an, oder?“
„Dem einfachsten?“ wiederhole ich ratlos.
„Ihr Ist-Zustand. Davon ausgehend arbeiten wir dann weiter. Ist das in Ordnung für Sie?“
„Doch. Ja.“ Ich richte mich auf. Das kann ich. Mit meinem Ist-Zustand kenne ich mich aus. Die Frau legt ihre Hände vor sich und lächelt. Das Gänseblümchen leuchtet.

(Inspiriert vom Fasten-Schreibexperiment von Susanne Niemeyer. Wobei Fasten und ich eigentlich nicht kompatibel sind. In diesem Experiment allerdings schon. 😊)

Rufus und der Dichter

Mit langen Schritten lief sie den Pfad am Waldrand entlang, hielt sich im Schatten der Kiefern und sah in den übertrieben blauen Himmel hinauf. Eine Dichterlesung! Was hatte sie sich dabei gedacht? Lyrik war noch nie ihr Ding gewesen, sie bevorzugte Liebesromane, und zwar die, bei denen man schon am Anfang wusste, wer am Ende zusammensein würde. Trotzdem hatte sie sich überreden lassen, mitzukommen, und was war das für ein Abend gewesen! Experimentelle Lyrik! Selbst nach zwei endlosen Stunden hatte sie immer noch keine Ahnung, was der Dichter ihr zu sagen versuchte, außer, dass er nicht nur sich, sondern auch sie unwiderstehlich fand. Er flirtete sie dermassen hemmungslos an, dass sie sich fast ducken musste, um nicht weggeblasen zu werden von all den stürmischen Blicken. Ihre Freundin hatte gegrinst. Natürlich!
Sie lehnte sich auf das sonnenwarme Gatter vor ihr und rief nach Rufus. Er hob den Kopf, I-Ahte laut und trabte auf sie zu. Esel! Die waren genügsam, sie brauchten fast nichts, außer ein bisschen Kraftfutter ab und zu und eine kraulende Hand unter den Ohren. Sie war genauso, oder? Zäh und genügsam. Sie musste nicht verkuppelt werden. Mit beiden Händen strich sie Rufus über den Kopf, er lehnte sich schmachtend an das Gatter und atmete laut. Naja. So ganz stimmte das auch nicht. Ganz hinten in der Ecke der Koppel stand Iris, die Eselin, die sie für Rufus gekauft hatte, und betrachtete sie mit misstrauischen Blicken. So handzahm wie ihr Lieblingsesel war sie nicht, aber Rufus war deutlich glücklicher.
Und so hatte sie nun heute abend ein Date mit einem Dichter für experimentelle Lyrik. Was Rufus konnte, konnte sie schon lange! Immerhin hatte sie ein paarmal laut gelacht während der Lesung. Und lachen war fast so gut wie ein I-Ah von Rufus, wenn sie ihm die Ohren massierte, oder?

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, organisiert (immer noch, glücklicherweise) von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Die Wortspende stammt dieses Mal von Werner Kastens und seinem Blog Mit Worten Gedanken horten. Die einzufügenden Wörter waren Dichterlesung, genügsam und verkuppeln in maximal 300 Worte.

Herr Miesling spielt kein Billard

„Weisst du“, sagt Herr Miesling, „das is schon komisch. Da ärgere ich mich dauernd über diesen Park, und jetzt, wo er wech soll, da tut´s mir leid.“ Er blickt sich um. Zwei kahle Bäume, ein paar Büsche, in denen nicht mal Spatzen wohnen wollen und ein unentschlossenes Stück Rasen gruppieren sich um die Bank, auf der Herr Miesling sitzt. Neben der Bank steht ein überquellender Mülleimer. „Ne, schön isses nich, aber weisste, was hier hin soll? Parkplätze!“ Herr Miesling schnauft. „Als ob´s davon nich wirklich schon genuch gibt!“
Sein Engel nickt, fischt einen leeren Coffee-to-go-Becher aus einem der Büsche und stopft ihn in den widerstrebenden Mülleimer.
„Das is wie damals im Spezi. Da gab´s ´nen Billardtisch, weisste, und ich wollt immer richtig gut spielen können. Aber irgendwie bin ich nie dazu gekommen, hatte immer anderes zu tun. Aber die Idee vom Billard, die is mir immer im Kopf rumrumort. Und irgendwann hat das Spezi zugemacht, und ich hab nie Billard gespielt. Hier isses genauso.“ Herr Miesling guckt in die Bäume. „Das hätt mein Garten sein könn, mit´n paar Blumen und´n bisschen richtigem Grün. Aber ich hab nichts gemacht und jetzt kommt er wech.“
Sein Engel hebt eine leere Zigarettenverpackung auf.
„Wie, ob das aktuell is? Die Parkplätze? Nächstes Jahr im Herbst solln die kommen. Wieso?“
Sein Engel legt die Zigarettenverpackung oben auf den vollen Mülleimer.
„Was heißt hier aufgeben oder gestalten?“ Herr Miesling blickt sich um. „Was soll ich denn hier gestalten?“
Sein Engel verschränkt die Arme und sieht auf den Müll.
„Was? Ich?“ Herr Miesling guckt empört.
Sein Engel zuckt mit den Schultern.
„Jetzt sei doch nich gleich eingeschnappt!“ Herr Miesling lehnt sich zurück. „Meinste echt, wir könn´hier was draus machen?“
Sein Engel lächelt.
Herr Miesling spitzt die Lippen. Ein leises Funkeln glitzert in seinen Augen.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, wie immer organisiert von Christiane (vielen Dank!!!). Die Wortspende kam von von Monika mit ihrem Blog Allerlei Gedanken und lautete Billard, aktuell und gestalten und der Text darf maximal 300 Worte enthalten. Hab ich! 😊

Draußen

Nein.
Du schlägst das Buch zu. Du hast dir wirklich Mühe gegeben, geforscht, studiert und soviel gelesen, dass dir die Augen tränen, aber jetzt ist Schluß. Es ist vorbei. Du lehnst dich zurück und verschränkst die Arme hinter dem Kopf. Eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung steigt in dir auf. Erleichterung, weil dieses seltsam trockene Gefühl von Hoffnung nun endgültig aufgehört hat, Enttäuschung, weil es schön gewesen wäre, einen Beweis zu finden. Aber du hast keinen Beweis gefunden, nur endlose Theorien und Mutmaßungen.
Und nun? Was machst du nun?
„Sie könnten einfach die Tür öffnen.“
Du drehst dich erschrocken um. Da sitzt ein mittelalter Mann im weißen Anzug hinter dir. Er hat die Beine übereinandergeschlagen, ein Arm liegt über der Sessellehne, in der anderen Hand hält er eine Pfeife. Seine Socken sind blau. „Was tun Sie hier?“ fragst du irritiert.
„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin Engel Nr. 265 und Ihnen heute zugeteilt.“ Der Mann verbeugt sich im Sitzen leicht nach vorn. „Darf ich?“ Er zeigt mit dem Kopf auf die Pfeife.
Du nickst verwirrt.
„Danke.“ Der Mann zieht ein Päckchen Pfeifentabak aus seiner Tasche und fängt an, die Pfeife zu stopfen. „Wenn Sie über den Begriff „Engel“ stolpern sollten, ich bevorzuge „Hüter des himmlischen Lichts“. Klingt viel eleganter, oder? Obwohl, heutzutage muss man immer alles endlos erklären, obwohl manche Dinge ohne Erklärung viel verlockender sind. Leser von Fantasyromanen wissen in der Regel schneller, was gemeint ist. Tja. Wie auch immer, die meisten können mit „Engel“ mehr anfangen, obwohl man auch da manchmal mit längeren Diskussionen rechnen muss. Das ist heutzutage ja ein weitgefasster Begriff. Aber ich schweife ab, entschuldigen Sie bitte.“ Er hält ein Zündhölzchen an die Pfeife und zieht vorsichtig. Ein Duft nach Vanille und Lavendel steigt in deine Nase und du atmest unauffällig tief ein. Das duftet… so real.
„Und… was tun Sie hier?“ fragst du vorsichtig.
„Na, Sie haben doch gefragt, was Sie tun sollen. Ich bin hier, um Ihnen die Antwort zu geben. Öffnen Sie die Tür.“
„Welche Tür?“ fragst du irritiert.
Der Mann zieht an der Pfeife. Eine kleine blaue Wolke steigt über seinem Kopf auf. „Sie suchen doch Beweise?“
Du nickst. Die Enttäuschung von eben wabert noch um dich herum. „Ja. Alle Welt berichtet von dem Draußen, den Farben, Gerüchen, den Gefühlen, die man draußen haben soll. Aber es gibt kein Draußen. Ich habe es überprüft. Es gibt nur Gerüchte, Mutmaßungen und endlose Theorien darüber, aber niemand weiß genau, wie es sich anfühlt. Weil noch niemand jemals da war. Weil es das Draußen gar nicht gibt.“ Du fühlst dich leer, als du das sagst.
Der Mann mustert dich. „Sie könnten die Tür öffnen. Das würde die Dinge in Bewegung bringen.“
Du ärgerst dich. Dich bewegen existenzialistische Fragen und du bekommst idiotische Vorschläge. „Welche Tür?“ fragst du etwas lauter als notwendig.
„Na, die da hinten.“ Der Mann zeigt auf eine der Wände.
Du blickst dich um, obwohl du es besser weißt. Da ist nämlich keine Tür. Da war noch nie eine, genausowenig wie es Fenster in deinem Raum gibt.
Oh. Du kneifst die Augen zusammen.
Da ist eine Tür.
Du siehst den Mann an, dann wieder die Tür. Der Mann lächelt und stößt eine Lavendelrauchwolke aus.
„Was…?“ rufst du.
„Oh, das ist keine Zauberei. Sie war schon immer da. Sie haben sie bloß nicht wahrgenommen, weil Sie so beschäftigt waren mit Forschen.“
„Aber…“ sagst du hilflos.
„Das macht nichts“, sagt der Mann sanft, „alles hat seine Zeit. Wissen Sie, Sie sind ein Mensch. Da dauern die Dinge manchmal ein wenig länger.“
„Das heißt… ich könnte hinausgehen?“
„Jederzeit.“
„Und dann bin ich draußen?“
Der Mann nickt. Du bist fassungslos. „Aber… ich dachte, das Draußen gibt es nicht!“ rufst du aus.
„Das ist ja auch kein Wunder. Sie haben es noch nie gefühlt, nicht betastet, nicht gerochen. Sie haben nur darüber gelesen. Das ist ein Unterschied.“ Der Mann zieht noch einmal an seiner Pfeife, eine Wolke aus Vanille und Lavendel steigt unter die Decke. „Aufgeraucht“, sagt der Mann befriedigt, „alles geht einmal zu Ende, aber nicht heute. Wollen wir?“
Du spürst, wie du blass wirst, du hast schreckliche Angst vor dem Draußen, aber du willst es unbedingt sehen. Also nickst du zitternd.
Der Mann hält dir seine Hand hin. „Kommen Sie, wir gehen zusammen.“ Er zieht dich vom Stuhl und gemeinsam geht ihr auf die Tür zu, die du noch nie vorher gesehen hast. Der Anzug des Mannes leuchtet weiß im Halbdunkel deines Raumes. Dann drückt er die Tür auf.
Es ist hell. Warm. Es duftet nach etwas Grünem. Und nach etwas Süßem. Etwas berührt deine Haut und du erschreckst dich, aber es fühlt sich gut an. Vorsichtig machst du einen Schritt. Und dann noch einen. Und dann bist du im Draußen.
Der Mann im weißen Anzug lacht. Es ist ein dröhnendes, zufriedenes Lachen, es rinnt dir den Rücken hinunter wie zuvor nichts auf der Welt.
Und zum ersten Mal im Leben fühlst du dich vollständig.

Kämpfe

Sie öffnete die Tür und ihr Magen zog sich zusammen. Sie sollte nicht hier sein und sie wusste es. Mit schnellen Schritten ging sie zum hintersten Tisch und setzte sich, stopfte ihren Rucksack unter den kleinen Stuhl und wartete. Das Leben war nicht nett zu ihr gewesen in der letzten Zeit und neuerdings hatte sie das Gefühl, auf ihrer Schulter säße ein kleiner Gnom, der bei allem, was sie tat, aufstöhnte und seufzte und sie generell für völlig unzurechnungsfähig hielt. Sie drehte ihren Kopf vorsichtig nach links und rechts und schielte auf ihre Schultern, aber sie waren leer. Natürlich waren sie leer.
Als der Kellner kam, bestellte sie eine Tasse Schokolade, mit extra Sahne, und ihr schlechtes Gewissen wuchs zu einem Berg fast so hoch wie der Kilimandscharo. Bislang war sie stark geblieben. Sie tippte mit den Fingernägeln eine schnelle, kleine Melodie auf die Resopaloberfläche des Tisches und hörte erst damit auf, als der Kellner zurück kam. Die heiße Schokolade, die er vor sie stellte, schien sie anzulächeln. Fast konnte sie sie hören, ein dunkler Strom betörender Worte schwebte aus der Tasse direkt in ihre Ohren, und, was schlimmer war, in ihre Nase. Du willst es doch auch, komm, nimm einen Schluck, ich werde dir warm und weich die Kehle hinunterrinnen, du wirst dich sofort besser fühlen, ich weiß das und du weißt es auch, na los, MACH schon!
Die letzten zwei Worte hallten durch den Raum und wurden nur langsam leiser. Verwirrt starrte sie die Tasse an. Was war das denn? Die Schokolade schwieg, so wie sie immer schwieg, wenn sie direkt angesehen wurde. Diese verwirrenden Gespräche gab es nur, wenn sie abgelenkt war, sie kannte das schon, genau, wie sie den Gnom auf ihrer Schulter nur sah oder hörte, wenn sie nicht auf der Hut war. Was tat sie hier? Hatte sie sich nicht geschworen, mit der Schokolade aufzuhören? Das Zeug würde sie noch ins Grab bringen, wenn sie nicht endlich etwas unternahm. Meine Rede, knarzte der Gnom auf ihrer linken Schulter. Raus hier!
Sie hielt ganz still. Bist du für oder gegen mich? flüsterte sie. Du bist ich und ich bin du, knarzte der Gnom, überleg mal. Mit zittrigen Händen kramte sie ein paar Münzen hervor und legte sie neben die Schokolade auf den Tisch. Die Sahnehaube war wie ein zu lange benutztes Kopfkissen in sich zusammengesunken und wirkte klebrig matt. Neiiiin, hörte sie die Schokolade darunter kreischen, als sie aufstand, ihren Rucksack nahm und das Cafe verließ. Und jetzt? fragte sie niemand im Bestimmten. Keine Ahnung, knarzte der Gnom. Sie holte tief Luft, dann ging sie.

Das war ein Beitrag zu Myriades Impulswerkstatt, die es hier zu finden gibt. 😊 Die Idee, ein Schreibmuster durchzuhalten, finde ich sehr interessant, aber auch ganz schön schwer. Aber mit einem Tässchen Schokolade ist alles halb so schwer… 😁

Erschöpfung und Ratlosigkeit. Der Anfang.

Die Ratlosigkeit sieht sich um, aber da ist niemand. War ja klar, denkt sie, als ihr von hinten jemand auf die Schulter tippt. Sie dreht sich um.
„Hallo“, sagt die Erschöpfung mit leiser Stimme. Sie ist durchscheinend blass und trägt einen grauen Mantel, in dem sie fast verschwindet.
„Du bist das!“ ruft die Ratlosigkeit, „wir kennen uns doch!“
Die Erschöpfung lächelt ein halbes Lächeln. „Ja“, sagt sie, „stimmt, wir waren bei der Hektik zum Seminar.“
„Oh Gott“, sagt die Ratlosigkeit, „ich erinnere mich: ‚Wie hole ich alles aus dem Leben raus‘, das war der Titel. Hast du Antworten gefunden?“
Die Erschöpfung schüttelt den Kopf und sieht zu Boden.
„Ich auch nicht!“ ruft die Ratlosigkeit, „dann sind wir ja schon zu zweit!“
Sie sehen sich an und lächeln.
„Wollen wir?“ fragt die Erschöpfung.
„Gern“, sagt die Ratlosigkeit, „ich hab allerdings keine Ahnung, wo´s langgeht.“
„Es ist nicht weit“, sagt die Erschöpfung, „gleich um die Ecke.“
„Echt?“ Die Ratlosigkeit strahlt. „Meistens komme ich nirgendwo an.“
„Vertrau mir“, sagt die Erschöpfung und lächelt schon zum zweiten Mal an diesem Abend.

‚Himmel hilf!‘ denkt die Verachtung, die hinter ihnen auf einer Parkbank sitzt, und nimmt einen Schluck von ihrem kalten, schwarzen Kaffee. Er schmeckt nach Pappbecher.