Ich gehöre dazu

Ich gehöre selbstverständlich dazu.

Diese verrückte Welt mit ihren Absurditäten, den rosa Flamingos und den Teppichen, unter die so gerne gekehrt wird, mit den Möglichkeiten und Begrenzungen und den endlos samtigen Nachthimmeln: Ich gehöre dazu, solange meine Zeit hier dauert.

Traumerkenntnisse sind die besten.

Kleine Liebeserklärung

Heute ist der Welttag des Buches – ein Grund, diesen Text von 2017 noch einmal zu posten. Es hat sich nichts geändert. 🥰

Zu Weihnachten habe ich ein Buch geschenkt bekommen. Es sind lauter kleine Schnipsel von Astrid Lindgren, Sätze aus ihren Büchern, Interviewabschnitte, Leserbriefe, die sie geschrieben hat, Erinnerungen aus ihrem Leben.

Es gibt in dem Buch ein Kapitel über das Lesen, und darin stehen alle Gründe, aus denen ich angefangen habe zu lesen und seitdem nie wieder damit aufgehört habe. Als Kind liest man anders, und die Intensität, mit der ich damals die Geschichten verschlang, ist heute so nicht mehr da. Was bleibt, ist die Erinnerung daran, wie es sich anfühlte, gemeinsam mit den fünf Freunden bei Blitz und Donner Zuflucht in einer Felsenhöhle zu finden, naß bis auf die Haut, um dann Dosenpfirsiche zu essen. Oder zu wissen, wie ein Sommerabend riechen muß, wenn man mit Kalle Blomquist unterwegs war: Nach warmem Teer unter den Füßen und lauer Luft, in der eine Spur Heuaroma liegt.

Ich weiß auch noch ganz genau, wie neue, ungeöffnete Bücher sich mir in die Hände schmiegten, voller Verheißungen, Abenteuern und noch unbekannten Freunden, die ich bald genauso gut kannte wie mich selbst. Ein solches ungeöffnetes Buch war immer von einem leisen Zauber umgeben. Ich erinnere mich, wie ich nichtsahnend den ersten Band vom Herrn der Ringe öffnete, anfing zu lesen und verschlungen wurde vom Auenland und den Elben, verloren für alle Zeit an sagenhafte Welten, in denen alles möglich ist.

Mittlerweile habe ich sehr, sehr viele Bücher gelesen. Vielleicht bin ich heute manchmal zu schnell, weigere mich, konsequent einzutauchen, aber das ist keine Katastrophe. Es gibt Bücher, die haben das Potential, und dann passiert es ganz von selbst, das Eintauchen.

Ich bin immer noch begeistert. Wie für Astrid Lindgren sind Bücher auch für mich Brot und Salz, und ich glaube nicht, dass sich das in diesem Leben noch einmal ändern wird. Und deswegen werde ich mutig, entschlossen und unbeirrt weiterlesen, Romane, Fantasy, Krimis, immer auch Jugendbücher und Kinderbücher und Gedichte, ja, Gedichte ganz unbedingt. Nichts kann einen so ins Herz treffen wie die richtigen Worte, wenn sie kompakt und auf ganz bestimmte Art und Weise aneinandergereiht sind. Am Anfang war das Wort. Und in meinem Himmel muss es eine Bibliothek geben. Es kann sonst einfach nicht der Himmel sein.

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Glück ist wie Ohropax

Manchmal ist alles zuviel. Das Telefon klingelt. Auf dem Flur klappern Absätze. Deine Kollegin ißt einen Apfel. Dein Chef monologisiert nebenan. Telefonate hallen an den Wänden entlang. Die Flurtür geht alle fünf Minuten auf und zu. Der Kopierer rauscht. Ein zoom-Meeting findet im Büro neben dir statt. Vor dir stapeln sich die unerledigten Aufgaben, aber in deinem Kopf rauscht es. Und dann kommt das Ohropax. Wie verheißungsvoll es sich zwischen deine hektischen Finger schmiegt und jede Form annimmt, die du willst! Der Moment, wo du es am Rande deiner Kräfte erst ins eine Ohr, dann ins andere drückst. Und dann: Das pure Glück, wenn es sich ausdehnt und die Aussenwelt draussen hält, wenn die himmlische Stille langsam in deinen Kopf sickert und sich ausbreitet wie weicher Nebel. Die unglaubliche Stille, der Friede. Ja. Glück ist definitiv wie Ohropax.

So fühlt sich Stille an.

Schlafen

Als Kind wollte ich abends nicht schlafen gehen. Die wachen Stunden waren so kostbar! Das Lesen am Abend war kostbar. Solange ich nicht eingeschlafen war, war der Tag nicht vorüber und der neue Tag konnte nicht kommen. Der neue Tag war unvorhersehbar, er fing mit dem Aufstehen an, und das war schmerzhaft. Ich war so müde, immer und überall. Trotzdem wollte ich abends nicht schlafen gehen.
Der Abend hatte etwas Magisches, die dunkle Jahreszeit noch viel mehr als Frühling und Sommer. Im Herbst schrumpfte meine abendliche Welt auf mein Bett und das jeweilige Buch zusammen, alles andere verschwand. Ich war in einem Kokon aus Zeitlosigkeit, Nachttischlampenlicht und Papierwelten eingesponnen, und das war alles, was ich wollte. Schlafen wollte ich auf jeden Fall nicht.
An besonderen Tagen, vor Weihnachten, Geburtstagen oder Nikolaus, war ich hin- und hergerissen zwischen Schlafen und Wachbleiben. Die Vorstellung, dass zwischen meinem Einschlafen und dem Aufwachen viele Stunden lagen, endlose, mäandernde, sich ausdehnende Stunden, in denen ich nichts tat als daliegen, verursachten mir fast körperliche Schmerzen. Es war kaum auszuhalten, wie lange ich schlafen würde, ohne es zu merken, bis es endlich Morgen wäre. Wenn ich allerdings nicht schlief, würde es noch viel länger dauern, bis es endlich Morgen wäre. Nichts davon war damals ein Widerspruch.
Meine Eltern fanden es weniger schön, dass ich nicht schlafen wollte. Es war ein immerwährender Kampf, und wenn im Türspalt unten am Teppichboden noch Licht zu sehen war, gab es Ärger. Also legte ich eine Decke vor den Türspalt und sperrte das Licht ein, damit es nicht unkontrolliert im Haus herumwanderte. Das Licht trickste mich aus und wanderte durch das Schlüsselloch hinaus und wieder gab es Ärger. Auch meine Taschenlampe wurde entdeckt und für die Nacht konfisziert.
Trotzdem schlief ich nicht. Ich ging immer zu spät schlafen, jeden Abend, und ich war tagsüber immer müde. Das änderte sich erst in der zweiten Hälfte meines Lebens. Auf einmal war der Preis eines müden Tages höher als der der gestohlenen Stunden in der Nacht. Vielleicht ist das der Preis, den man für das Erwachsenwerden zahlt.

Als ich aus der Tür trete

Als ich aus der Tür trete, versperrt ein Satz mir den Weg.
„Wo kommst du her und wo willst du hin?“
Ich bleibe irritiert stehen, die Türklinke in der Hand. „Äh“, stammle ich, denn der Satz verlangt Beantwortung. Mehr fällt mir allerdings erst mal nicht ein. Dann versuche ich es mit „von oben und zur Arbeit?“. Ich mache einen winzigen Schritt nach vorn. Mir ist, als ob der Satz die Arme verschränkt und streng guckt.
„Ok, ok“, sage ich hastig und überlege. Wo komme ich her? Und wo will ich eigentlich hin? Ich lehne mich in die offene Tür und knibbele an meiner Unterlippe. Als es mir endlich klar ist, lächle ich. „Ich komme aus der Enge und möchte in die Weite“, sage ich und bin mir sicher.
Der Satz verneigt sich leicht und löst sich auf. Der Morgen ist hell. Ich mache mich auf den Weg.

Definitionen á la Stachelbeermond

Erschöpfung ist eine leergetrunkene Quelle, die nur langsam nachfließt. Kann für sehr kurze Zeit mit einem Schokocappuccino ausgetrickst werden. Bewegt sich ungern. Ist nachtragend.

Ohnmacht ist ein Zwilling. Der kleinere verhalf Frauen in früheren Zeiten kurz zu einer Auszeit. Der größere Bruder sieht gern aus tiefen, dunklen Brunnenschächten zu einem hinauf und erschreckt mit seiner hohlen Echostimme. Hat keinerlei Humor, ist aber befreundet mit dem Sarkasmus.

Verachtung hält sich selbst für die Größte und die Klügste. Hat immer Recht. Es ist einsam um sie herum, aber ganz oben ist es halt einsam. Das nimmt sie in Kauf.

Ratlosigkeit würde gern so vieles, aber es sind immer alle Wege verbaut. Sie lebt in einem lebenslangen Labyrinth, aber sie weiß es nicht.

Vertrauen streckt die Hände aus, wenn es nach ihr ginge, liefen immer alle Hand in Hand. Sie leuchtet von innen heraus. Ihre dunkle Schwester ist die Enttäuschung, die ihr oft vorwirft, die Realität zu verleugnen. Vertrauen sieht sie dann liebevoll an und fragt, ob sie mit zum Schaukeln kommt.

Tagesaktualitäten

Engel mit unausgesprochenen Verspannungen fliegen über uns. Sie spiegeln sich in halbleeren Rotweingläsern und halten ihre Fahnen hoch: Widerstehe. Bleib mutig. Bewahre Zuversicht. Ich zupfe altersmüde Ranunkelblätter auf Hasenservietten und träume vom Frühling. Einmal in Tautropfen baden und nicht an Morgen denken. Täglich auferstehen. Ich übe Zuversicht streng nach Lehrplan.

Heller sehen

Es wird jetzt jeden Tag heller, immer ein paar Minuten mehr. Das Licht nimmt zu, das ist schön. Vielleicht werden wir alle enger zusammenstehen und begreifen, was Gemeinschaft bedeutet. Vielleicht begreifen wir auch sehr schnell, was wir an unserem Staat haben und wie wertvoll er ist. Ich hoffe auf die sozialen Medien, wie schlimm sie auch sonst sind, darauf, dass sie verbreiten, was auf anderem Wege im Osten nicht mehr verbreitet werden kann, und dass die Menschen unzufrieden sind mit dem, was ihnen vorgesetzt wird. Und nach Alternativen Ausschau halten. Ich hoffe darauf, dass Gott dableibt und den Menschen den Rücken stärkt. Verflüchtigt hat sich in den letzten Tagen zuviel. Ich weiß wenig, aber hoffen kann man immer. Also hoffe ich auf seine Anwesenheit.
Abgesehen davon sehe ich den Balkonsommer auf mich zukommen, trotz allem, mit Schirm, Plantschbecken und Blumen: Eine Sommerresidenz. Heller kann ich gerade nicht sehen, tut mir leid. Mir tun alle Menschen leid, die aus ihrem Leben und ihrem Alltag gerissen werden, weil ein älterer Mann seinen Lebenstraum bedroht sieht.
Mir ist gerade nicht wirklich nach Gedichten. Aber schreiben ist lebenswichtig. Na dann: Schreibe ich eben trotzdem. Überhaupt. Ein Trotzdem sollte es immer geben.

Wackelpuddingleben

Manchmal ist das Leben wie ein Wackelpudding. Es ist viel zu grün, durchschaubar und verspricht mehr, als es hält, und wenn du mit einem Löffel draufhaust, geht ein Zittern durch es hindurch, das noch lange anhält. Auf der anderen Seite ist es aber auch süß, hat ein intensives Aroma und die meisten Leute lächeln, wenn sie versuchen, einen Löffel voll davon auf ihren Teller zu bekommen, denn der Löffelvoll hat sehr ausgeprägte Fluchtendenzen. Wenn du dem Wackelpuddingleben dann noch Vanillesauce hinzufügst, kann es sehr überzeugend wirken. Und was bleibt dir auch anderes übrig? Wenn das Leben ein Wackelpudding ist, hast du ja nicht wirklich eine Wahl. Du kannst dich für ein leicht gelangweiltes Abwinken von oben herab entscheiden, alles schon gesehen, alles schon erlebt, du stehst weit über dem gewöhnlichen Wackelpudding. Oder du entscheidest dich dafür, Grün zu mögen, das allgegenwärtige Zittern als Zeichen für Lebendigkeit zu nehmen, unverdrossen auf die Vanillesauce zu warten, und wenn sie nicht kommt, selbst welche zu kochen. Nicht alle Wackelpuddingtage sind schön, natürlich nicht. Manche enden als zerfledderter grüner Rest auf dem Boden der Schüssel. Wie schön ist dann das Knistern der neuen Packung, wenn du sie aufreißt, du atmest den Waldmeisterdampf ein, der aus der heißen Schüssel aufsteigt und dann heißt es warten. Regenerieren. Beim Wackelpudding musst du geduldig sein, er wird nicht schneller fest, wenn du ihn anstarrst oder mit dem Finger hineinstippst. Er braucht seine Zeit, wie du. Wenn dein Leben also manchmal wie ein Wackelpudding ist, dann denk dran: Das Beste ist immer der Nachtisch.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, und ich hatte dieses Mal die große Ehre, die Wortspenderin zu sein! Ich habe mit Vergnügen und Vorfreude Wackelpudding, unverdrossen und knistern gewählt und bin gespannt auf die Beiträge. Organisiert werden die Etüden von Christiane, und weil das viel Arbeit ist, ein großes Dankeschön von Blog zu Blog. 😊

Krieg und Frieden

Die Vögel auf dem Rasen streiten um jeden Käfer, um jeden Wurm, mit großem Geschrei wird angegriffen und verteidigt, ein Drama jagt das andere. Am Abend sitzen sie einträchtig beisammen und leisten sich Gesellschaft und Wärme. So müssten wir es machen.