Manchmal ist alles zuviel. Das Telefon klingelt. Auf dem Flur klappern Absätze. Deine Kollegin ißt einen Apfel. Dein Chef monologisiert nebenan. Telefonate hallen an den Wänden entlang. Die Flurtür geht alle fünf Minuten auf und zu. Der Kopierer rauscht. Ein zoom-Meeting findet im Büro neben dir statt. Vor dir stapeln sich die unerledigten Aufgaben, aber in deinem Kopf rauscht es. Und dann kommt das Ohropax. Wie verheißungsvoll es sich zwischen deine hektischen Finger schmiegt und jede Form annimmt, die du willst! Der Moment, wo du es am Rande deiner Kräfte erst ins eine Ohr, dann ins andere drückst. Und dann: Das pure Glück, wenn es sich ausdehnt und die Aussenwelt draussen hält, wenn die himmlische Stille langsam in deinen Kopf sickert und sich ausbreitet wie weicher Nebel. Die unglaubliche Stille, der Friede. Ja. Glück ist definitiv wie Ohropax.
„Guten Morgen“, sagt die Frau, die an einem großen Tisch sitzt. Es ist viel Platz um sie herum, und ich zögere kurz, bevor ich mich ihr gegenüber setze. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Die Frau wirkt nicht experimentierfreudig. Sie trägt einen schwarzen, schlichten Hosenanzug, ist dezent geschminkt und hat ihre Haare zu einem strengen Zopf gebunden. Ziemlich konservativ, denke ich. Und dazu auch noch Perlenohrringe! Das einzig auffällige an ihr sind die Fingernägel. Sie sind kurz geschnitten und jeder Nagel hat eine andere Farbe, rot, grün, blau, lila, gold, schwarz, weiß, pink, gelb und auf dem kleinen Fingernagel links ist ein Gänseblümchen auf grünem Grund gemalt. „Mein Name ist Schmidt“, sagt die Frau und lächelt. „Was kann ich für Sie tun?“ Sie faltet die Hände vor sich. Ich habe das deutliche Gefühl, sie genießt den Augenblick. „Äh“, sage ich. Was wollte ich hier? „Ich denke, Sie möchten experimentierfreudiger werden“, sagt die Frau freundlich. „Stimmt“, sage ich und versuche, nicht auf die Perlenohrringe zu schauen. „Haben Sie bestimmte Absichten?“ fragt die Frau. „Absichten?“ Ich verstumme. Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt keine Vorstellung von dem, was ich will, ich weiß nur, dass ich mit dem Ist-Zustand unzufrieden bin. „Also keine. Wie sieht es mit Ihrer Voreingenommenheit aus?“ Mein Blick fällt auf die bunten Fingernägel. Sofort gucke ich weg. „Äh…“ sage ich. „Aha“, sagt die Frau. „Na, dann fangen wir doch mit dem einfachsten an, oder?“ „Dem einfachsten?“ wiederhole ich ratlos. „Ihr Ist-Zustand. Davon ausgehend arbeiten wir dann weiter. Ist das in Ordnung für Sie?“ „Doch. Ja.“ Ich richte mich auf. Das kann ich. Mit meinem Ist-Zustand kenne ich mich aus. Die Frau legt ihre Hände vor sich und lächelt. Das Gänseblümchen leuchtet.
In der Küche meiner Kindheit lag ein Wachstuch über der normalen Tagesdecke, weiß mit blauen Blumen war eines davon. Es wurde vor dem Essen aufgelegt und nach dem Essen feucht abgewischt und wieder abgenommen. Es war praktisch, denn alle Flecken und Krümel verschwanden einfach mit dem feuchten Tuch, aber richtig schön fand ich es nie – es klebte an den Unterarmen fest, wenn es warm war oder fühlte sich kalt an im Winter. Mit der Zeit verblassten die Farben und das Tuch bekam Kratzer und dünne Stellen. Irgendwann gab es ein neues, und ich wusste, das würde unsere Familie jetzt ein paar Jahre begleiten. Die Tradition des Wachstuches habe ich nicht übernommen, meine zwei Tische haben Holzoberflächen, die benutzt werden dürfen, und es liegen höchstens ein paar Tischsets darauf, um die Oberfläche ein bisschen zu entlasten. Die Wachstücher mochten keine zu heißen Teller oder gar Kochtöpfe auf sich. Sie reagierten beleidigt und warfen Wellen, die nie wieder verschwanden. Meine Mutter konnte sich furchtbar aufregen über so eine Verwerfung, denn es gab extra Untersetzer für Töpfe und Sets für heiße Teller. Mein absolutes Haßgericht war Sellerie, den es glücklicherweise selten gab. Griesbrei mochte ich auch nicht. Wir mussten unsere Teller nicht unbedingt leer essen, obwohl es ganz gern gesehen wurde, aber wenn es nicht ging, war das nicht schlimm. Schlimm war es aber, zum Essen zu spät zu kommen. Das hatte unangenehme Folgen, von der Gardinenpredigt über den Wutausbruch bis hin zu eisigem Schweigen war alles möglich. War mein Vater nicht pünktlich zum Essen da, oder wir hatten die Zeit vergessen, dann schrie meine Mutter durchaus auch aus der Küchentür in die Nachbarschaft, so dass wirklich alle wussten, dass es JETZT Essen bei uns gab. Meiner Schwester war das jedes Mal unendlich peinlich. Mir nicht, aber es hat mich unter Stress gesetzt, und so kam auch ich zu spät, weil ich die explosive Stimmung am Küchentisch gern vermieden hätte. Meine Mutter hat gutbürgerlich gekocht, und sie hat sehr gut gekocht, aber nie gern. Kochen war ihre Arbeit und sie hat sie erledigt, aber ich glaube, wenn sie hätte wählen können, hätte sie lieber eine andere Arbeit gehabt. Der Fluch der Nachkriegsgeneration – das Rollenmodell stand.
Wenn man erstmal anfängt, kann man nicht mehr aufhören. Das ist ein Satz, den ich nur im Zusammenhang mit Schokolade unterstreichen kann, ich kann sehr gut aufhören, wirklich, das ist eine meiner Stärken. Oder Schwächen, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man das betrachtet, ok, das stimmt natürlich. Auf jeden Fall arbeite ich meistens nicht stundenlang an meinen Projekten, eher ein halbes Stündchen zur Entspannung zwischendurch, vielleicht mal eine Stunde, aber dann wird mir langweilig, immer dasselbe, schrecklich, jetzt muss etwas Neues her, aber sofort! Trotzdem haben die Dinge sich in der Stunde (oder in der halben) weiterentwickelt, und das wiederum finde ich sehr reizvoll, das bedeutet nämlich, ich muss nicht an derselben Stelle weitermachen, an der ich angefangen habe.
Ich finde es auch schrecklich, immer wieder von vorn an etwas zu beginnen. Oder immer wieder, weil winzige Details geändert werden müssen. Grauenvoll. Lektorieren wäre die reine Hölle, wenn ich das immer machen müsste. Dem Himmel sei Dank beschränkt sich das auf Einzelprojekte, und so gern ich Texte lese, so sehr fange ich an, sie zu verabscheuen, wenn ich sie zum siebzehntenmal lesen muss, weil ein Komma falsch gesetzt ist.
Und dann gibt es die Momente, in denen man an einen Peak kommt, einen Durchbruch, die Zeit des ödbraunen Kartons endet, denn jetzt kommt endlich, endlich Farbe ins Spiel! Dann bin ich ziemlich aufgeregt und das Projekt gewinnt plötzlich eklatant an Fahrt. Interessanterweise vergesse ich die Zeit des ödbraunen Kartons ziemlich schnell, als ob sie überlagert wird von Aussichten und Verheißungen und Vorfreude. Eigentlich eine ganze gute Eigenschaft, die schlechten Dinge vergessen und die guten behalten. Das könnte man ausbauen, doch ja, das wäre es wert.
Und wenn es dann manchmal einen Schritt zurück geht, weil man am Anfang etwas vergessen hat und man dasselbe doch nochmal tun muss, tja, dann ist das gar nicht so schlimm wie am Anfang, als die braune Ödnis herrschte. Jetzt hat man Aussichten und Möglichkeiten und Farbe, die man nie unterschätzen sollte (die Farbe meine ich), also sind Wiederholungen machbar. Manchmal machen sie die Gesamtlage auch besser! Aus meiner Sicht erstaunlich, aber so ist das Leben – voller brauner Kartons, die mit etwas Glück einen Peak erleben und plötzlich verheißungsvoll glänzen.
Wie es weitergeht? Ich dachte, der Weg sei das Ziel? 😁
Ich mag Bastelprojekte. Allerdings darf sich nichts endlos wiederholen, das ist entnervend und ich gebe meist schon nach dem dritten Basteldings auf. Wenn ich überhaupt drei erreiche. Ehrlich gesagt werfe ich die Flinte meist schon nach dem Prototyp ins Korn. Und wer es schafft, in Serie zu gehen und etwas hundertmal herzustellen, hat meine höchste Bewunderung. Im ersten Jahr der Pandemie habe ich ein klitzekleines Gewächshaus gebaut, mit Pinzette und Zahnstochern und allem drum und dran, aber nach der Fertigstellung war klar, sowas mache ich bestimmt nicht nochmal, und monatelang mit Uhufingern herumzulaufen hat auch nicht meine höchste Priorität. Es macht zwar Spaß, das Zeug wieder abzuknibbeln, aber trotzdem: Einmal reicht. Und trotzdem… trotzdem wollte ich gern irgendetwas Neues anfangen. Und dann sah ich ihn, den Karton, der im Büro einer Kollegin herumstand und hatte eine Idee…
Leider kam mir die Idee etwas zu spät, und so hatte der Karton schon einen kleinen Wasserschaden von einer umgekippten Trinkflasche, aber egal! Wir sind ja schließlich auch vom Leben gezeichnet, hier ein Leberfleck, da ein Haar, wo es nicht hingehört. Von Falten ganz zu schweigen. Wir werden ja schließlich deswegen auch nicht aussortiert. Der Karton bekam also ein neues Zuhause bei mir, stand ein paar Wochen im Regal und hat hoffnungsvoll ausgesehen, und immer, wenn ich Wäsche aufgehängt habe, hat er geschwiegen, aber geguckt. Ich sag euch, so ein Karton kann sehr seelenvoll gucken, wenn er will! Er hat mich quasi weichgeguckt, und so habe ich angefangen.
Übrigens ohne genau zu wissen, wo ich hinwill. Der Weg ist das Ziel. Und so entstand das erste Mauseloch: Voilá!
Ein Gärtner zupft Unkraut aus dem Schottersteingarten und die Morgenluft riecht nach Katzenfutter. Die Fabrik arbeitet. Ein paar Krähen krächzen, während die alte Abfertigungshalle sich rosa färbt und geheimnisvoll verheißungsvoll aussieht im Morgendunst. Nebenan rattert ein endloser Güterzug über die Weichen und übertönt die zwei Vögel, die schon mal für den Frühling proben. Der Tag arbeitet an sich. Und ich bin sehr zufrieden mit ihm.
Ich teste hier gerade ein bisschen herum, man muss ja auf dem aktuellen Stand der Technik bleiben. 😁 Obwohl… is ja nicht so meins, mit Storys und so. Trotzdem, spannend ist es schon.
Ich mag keine Bananen. Naja, im Notfall esse ich sie, wenn nichts anderes da ist oder eine Banane die einzige Möglichkeit ist, etwas mitzunehmen. Ein schon verpackter Pausensnack, dessen Schale man praktischerweise irgendwo unter einem Blätterhaufen oder einem Stein zurücklassen kann. In allen anderen Fällen: Nein, danke. Der Geruch treibt mich schon in die Flucht, und das Gefühl, wenn die Zähne sich in dieses unentschlossen halbharte Fruchtfleisch graben: Igitt. Noch viel schlimmer ist es, wenn die Banane sehr reif und schon ein bisschen matschig ist – öffne sie und ich bin weg. Es geht das Gerücht um, ich hätte als Kind gern zermatschte Bananen mit Butterkeks gegessen habe. Ich kann mir das nicht vorstellen. Vielleicht wurde ich als Kind vertauscht, und das Kind, das gern zermatschte Bananen gegessen hat, befindet sich jetzt im Niemalsland und ich bin eigentlich ein kleiner Kobold, der ein bisschen seltsam durchs Leben geht? Das würde einiges erklären. Dagegen spricht, dass ich Bananen gern mit Kirschen auf Kuchen und mit viel Schlagsahne esse. Im Obstsalat sind sie in Maßen auch ok. Andererseits, wenn die Bananenstücke dann so schleimige Fäden ziehen, bin ich sofort wieder weg. Eine meiner Schreckensvorstellungen ist, ich strande auf einer einsamen Insel, und dort gibt es nur Kokosnüsse, rohe Fische und Bananen. Uuuuuhhhh! Ich würde irgendwann meine eigenen Füße annagen, nur um den Bananengeschmack wegzubekommen. In einer einzigen Variante finde ich Bananen toll: Geschält, mit Schinken umwickelt und gebraten. Aber auch das nur einmal etwa alle drei Jahre. Nur die Farbe, die ist wirklich genial. Bananengelb, das liebe ich!
Nein, Bananenbilder wird es hier nicht geben. Allein schon deswegen, weil ich nie welche zuhause habe. 😁
O saure Gurke, du grüne Lebenswürze! Jedes langweilige Abendbrot peppst du auf mit deiner aromatischen Säure, und wo sich die Brotscheiben langweilig gerade auf den Teller legen, bist du das Ausrufezeichen zwischen Butter und Käse. Mit dir gewinnt die Leberwurst an Charakter, und wer sich noch nie um die letzte saure Gurke gestritten hat, hat nicht gelebt. Auch vornehm kannst du; wenn es muss, streifst du dir ein französisches Cape über und wirst zur Cornichon, auf dass man dich mit abgespreiztem kleinen Finger äße, ein selbstbewusstes Komma zwischen den Gängen, überall zu Hause und überall willkommen. O saure Gurke, du bist die Retterin in dunklen Nächten! Wenn Verzweiflung uns zum Kühlschrank treibt, bist du zur Stelle und bietest dich an, grün und knackig und kalt zwischen den Zähnen. Dich muss man nicht schärfen und schneiden, allzeit bereit wartest du im Glas auf deinen fabelhaften Auftritt. Und wenn gar nichts mehr geht, dann hängst du dich auch in den Tannenbaum, grün schillernd wie der Apfel im Paradies.
Tja, wie es immer so ist: Weit und breit keine sauren Gurken im Kühlschrank. Deswegen fährt hier das kleine rote Auto die notwendige Schärfe ins Bild ein. 😁