Als der Vorsitzende des Heimatvereins Gott trifft, ist es 14:17 Uhr und er will gerade den Schaukasten neu bestücken. Vor der Scheibe steht Gott und isst ein Eis, während er die Bekanntmachung zur Jahreshauptversammlung liest. Seltsamerweise weiß der Vorsitzende sofort, dass es sich um Gott handelt, obwohl er sonst ein kritischer Mensch ist, gerne zweifelt und viel diskutiert.
„Was machen Sie hier?“ fragt er Gott.
„Du kannst mich duzen“, antwortet Gott und beisst ein Stück Erdbeereis ab. „Ich lese eure Bekanntmachungen.“
„Ah.“ Der Vorsitzende hat keine Ahnung, was er sagen soll. Schließlich trifft man Gott nicht jeden Tag.
„Du kannst mich alles fragen“, sagt Gott.
„Ja, dann…“, der Vorsitzende überlegt, „warum haben wir so wenig Mitglieder?“ fragt er schließlich das, was ihm gerade am meisten auf der Seele liegt. Gott seufzt. „Da fragst du den Richtigen.“ Er überlegt. „Magst du eure Mitglieder?“
Der Vorsitzende zuckt mit den Schultern. „Doch ja, aber natürlich nicht so wie Freunde, es sind halt Vereinsmitglieder.“
„Daran solltet ihr arbeiten.“ Gott wirft einen Blick auf das Filmangebot. ‚Im weißen Rössl am Wolfgangssee‘ steht da. „Vielleicht solltet ihr das Filmangebot auch mal überdenken“, fügt er hinzu.
Der Vorsitzende nickt. Er ist nicht überzeugt, aber wenn Gott das sagt?
Gott lehnt sich an die harte Stuhllehne und beobachtet die Vereinsmitglieder bei der Vorbereitung der Jahreshauptversammlung. Ihr Vorsitzender ist überall zugleich, rückt hier einen Stuhl gerade und richtet da das Mikrofon, legt Stifte bereit und kontrolliert, ob die Kaffeekannen richtig verschlossen sind. Engagiert, denkt Gott, wirklich eifrig, aber ein bisschen schwierig im Umgang. Er kann schlecht loslassen. Schon als Schüler musste er alles dreimal kontrollieren, Gott erinnert sich. Vielleicht ist es Zeit für eine kleine Portion Chaos. Nichts bringt Menschen so schnell auf neue Wege wie ein bisschen Chaos. Gott nickt und plötzlich fällt der Strom aus. Während um ihn herum hektische Aktivität ausbricht und der Vorsitzende abwechselnd rot und blass wird, denkt Gott über die Frage von vorhin nach: „Warum haben wir so wenig Mitglieder?“
Es ist eine gute Frage. Eine sehr gute.
Gott betrachtet die Stadt, während er langsam ohne Eile den Himmel ersteigt. Eigenwillige Menschen leben hier, denkt er, so, wie ich es mag. Und sie haben gute Fragen! Er befühlt den Zettel in seiner Tasche, auf dem lauter Punkte stehen, die er mit seinem ausführenden Personal besprechen wird: Warum so wenig Mitglieder? Müssen frisch Verstorbene wirklich immer Schmetterlinge sehen? Kann die warme Glut in den Augen nicht öfter angezündet werden? Und warum gibt es im Himmel kein Erdbeereis?
Er öffnet die Pforte und verschwindet.
Unten im Städtchen packt ein frustrierter Taschendieb seine Siebensachen, die Touristen entdecken, dass die Hälfte ihrer Fotos verschwunden ist und die Statue wird zum ersten Mal seit sehr vielen Jahren gereinigt. Der Vorsitzende des Heimatvereins akzeptiert eine Doppelspitze. Ab sofort gibt es auch eine Vorsitzende.
Ansonsten bleiben die Dinge, wie sie sind. Nur die Erdbeereisvariationen in den Eisdielen haben seltsamerweise sehr zugenommen. Die Kinder freut es. Und die Erwachsenen auch.

Das war eine Gemeinschaftsschreibaktion, es gibt also noch dreizehn andere Blicke auf Gott, der Urlaub macht. Das hier war meiner 😊.
Gott sollte sich mal öfter zu den Menschen setzen und nachhaken, wo genau es denn eigentlch klemmt mit dem Glauben…
Ein feiner Text zum gründlich Nachdenken!
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Dankeschön! 😊
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Sehr schöne Idee! Aber ich habe eine Frage, die mich umtreibt… Warum BEISST Gott in sein Eis?! Meine Zähne kribbeln schon allein bei dem Gedanken daran. >< 😀
Liebe Grüße
Alina
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Tja, das weiß nur er allein… 😁 ich tue das allerdings auch immer… 😊
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