„Guten Morgen“, sagt die Frau, die an einem großen Tisch sitzt. Es ist viel Platz um sie herum, und ich zögere kurz, bevor ich mich ihr gegenüber setze. Ich bin ein bisschen enttäuscht. Die Frau wirkt nicht experimentierfreudig. Sie trägt einen schwarzen, schlichten Hosenanzug, ist dezent geschminkt und hat ihre Haare zu einem strengen Zopf gebunden. Ziemlich konservativ, denke ich. Und dazu auch noch Perlenohrringe! Das einzig auffällige an ihr sind die Fingernägel. Sie sind kurz geschnitten und jeder Nagel hat eine andere Farbe, rot, grün, blau, lila, gold, schwarz, weiß, pink, gelb und auf dem kleinen Fingernagel links ist ein Gänseblümchen auf grünem Grund gemalt.
„Mein Name ist Schmidt“, sagt die Frau und lächelt. „Was kann ich für Sie tun?“ Sie faltet die Hände vor sich. Ich habe das deutliche Gefühl, sie genießt den Augenblick.
„Äh“, sage ich. Was wollte ich hier?
„Ich denke, Sie möchten experimentierfreudiger werden“, sagt die Frau freundlich.
„Stimmt“, sage ich und versuche, nicht auf die Perlenohrringe zu schauen.
„Haben Sie bestimmte Absichten?“ fragt die Frau.
„Absichten?“ Ich verstumme. Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt keine Vorstellung von dem, was ich will, ich weiß nur, dass ich mit dem Ist-Zustand unzufrieden bin.
„Also keine. Wie sieht es mit Ihrer Voreingenommenheit aus?“
Mein Blick fällt auf die bunten Fingernägel. Sofort gucke ich weg. „Äh…“ sage ich.
„Aha“, sagt die Frau. „Na, dann fangen wir doch mit dem einfachsten an, oder?“
„Dem einfachsten?“ wiederhole ich ratlos.
„Ihr Ist-Zustand. Davon ausgehend arbeiten wir dann weiter. Ist das in Ordnung für Sie?“
„Doch. Ja.“ Ich richte mich auf. Das kann ich. Mit meinem Ist-Zustand kenne ich mich aus. Die Frau legt ihre Hände vor sich und lächelt. Das Gänseblümchen leuchtet.

(Inspiriert vom Fasten-Schreibexperiment von Susanne Niemeyer. Wobei Fasten und ich eigentlich nicht kompatibel sind. In diesem Experiment allerdings schon. 😊)