Was schmeckst du?

Müdigkeit schmeckt wie gedämpfte Watte, die sich in den Kopf drängt und das Gehirn beiseite schiebt.
Überfluss schmeckt nach süßem Gift, das lähmt und nach und nach betäubt.
Bewunderung schmeckt wie sehr starker, heißer Kakao, der bis in die Fingerspitzen schwappt und wärmt.
Klarheit schmeckt nach Schnee und Honigwasser. Es kühlt die Phantasie und löscht ihren Durst nach zuviel Schlaraffenland.
Möglichkeiten schmecken wie helle Brauseexplosionen auf der Zunge, die dich hin- und herhüpfen lassen wie eine Flipperkugel.

In meinem Kopf zuviele Wünsche nach Schlaraffenland. Sekundenbruchteillang klare Gedanken wie Schnee und Honig. Ich baue damit einen Wall um Schlaraffia, damit es sich nicht zu weit ausdehnt.

Wie schmeckt das Leben gerade?

Das Leben schmeckt nach Müdigkeit und Sonne, nach glasklarem Himmel und eisigen Winden. Es schmeckt nach dumpfem Zuviel in den Knochen und endlosem Hunger nach Leben und nach Buntheit. Die Buntheit hält mich wach, sie fordert mich auf, komm und sieh! Es gibt soviel zu sehen. Blüten, Vögel, Aufbruch, Versprechungen überall. Die Buntheit zieht mich aus der Müdigkeit und lässt meine Knochen schlackern, sie malt Wolken in den blauesten aller blauen Himmel und lässt mich lila Blumen kaufen. Dabei tupft sie Schneeflocken auf meine Zunge und Honig, überschüttet mich mit Dohlen mit viel zu großen Zweigen in den Schnäbeln, während ich im sibirischen Wind stehe und fröstele. Sie lenkt meine Aufmerksamkeit auf die kleinen Blattknospen zwischen den Gitterstäben, die tapfer im Wind zittern. Das Leben schmeckt nach Überfluß und den Gedanken an andere, die zuwenig haben, und es schmeckt nach dem Wunsch nach immerwährendem Frieden auf Erden und überall. Im Nacken sticht die Gewissheit, dass es so wohl nicht sein wird, aber auf meiner Zunge liegt noch der Wunsch und kitzelt wie Brausepulver. Mein Leben schmeckt nach Bewunderung für diejenigen, die Aufbrechen und sich auf den Weg machen, um Frieden zu bringen und die die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit zum Leuchten bringen. Und im Abgang, ganz hinten im Rachen, da schmecke ich zwischen zartbitterer Müdigkeit Möglichkeiten. Sie duften nach Birne und Vanille und leuchten bunt. Da ist sie wieder, die Buntheit. Dem Himmel sei Dank für die Buntheit.