Ich bin verwachsen

ich bin verwachsen
mit Prilblumen
Sommerrasensprengern
Waschküchen voll nasser Schuhe
bin verwoben
in Karottenhosen
gestärkten Geschirrhandtüchern
Lampenputzertapeten
verflochten
mit Lockenwicklern
Erdbeermarmeladebroten
frisch gemachten Betten
bin durchtränkt
von Dallas und Magnum
Sahnesaucenkohlrabi
und Zitronenbuttermilchpudding
ich bin verbunden
mit Blaumännern
Agfafotofarben
all dem kleinen Glück

Ich bin wieder da! Und umgezogen. Und habe noch ein paar Schwielen an den Händen vom Streichen, Tapezieren, Schleifen, Bohren, Schleppen, Kartons ein- und auspacken… und nun gewöhne ich mich gerade ein und versuche, abends den richtigen Weg nach Hause zu finden. Es kommt mir manchmal noch vor wie ein komischer, langer Urlaub mit all meinem Kram… ein schöner Urlaub. 🙂 Und nun freue ich mich darauf, wieder am Netzleben teilzunehmen!

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht.
Auch Wortgeflumselkritzelkram
Mutigerleben
Werner Kastens
Nachtwandlerin
Gedankenweberei
Wortverdreher
Dein Poet
Geschichten mit Gott
Suses Buchtraum
Wortmann
Petra schreibt
Traumspruch
und Lyrik trifft Poesie
sind mit von der Partie.
Viel Freude bei allen Besuchen!

Verlorene Orte

Der sinnlose, lustige Rundlauf um die stachelige Blautanne im alten Garten. Wenn man hinter der Tanne war, war man unsichtbar und auf allen Seiten von Tannengrün umgeben.

Der Weg zur Schule über den Trampelpfad quer durch die Wiese mit den langen, schlanken Halmen, die im vorübergehen ausgezupft und dem Wind übergeben wurden. Es war übrigens immer zu früh, egal, wann die Schule begann.

Die selbstgebaute Fußballtribüne auf der Wiese, erdacht und konstruiert von meinem damals spannendsten Spielgefährten. Acht Menschen hatten Platz auf ihr und konnten den fünf Spielern zujubeln, was wir bis spät in den Abend hinein getan haben.

Der blaue Swimmingpool meiner besten Freundin. Sensationell damals, so ein Teil im  Garten zu haben. Luxus pur. Mit Außendusche!!!

Der dunkle, duftende Kuhstall meiner Oma mit der fremdartigen Zuckerrübenhäckselmaschine (gutes Wort für das Galgenmännchenspiel), vor der immer ein Haufen sandiger, unförmiger Zuckerrüben lag. Ich durfte die Häcksel probieren, sie waren gar nicht übel. Die Kühe haben sie geliebt.

Das unheimliche, nicht mehr benutzte Plumpsklo im Stall hinten links. Ich habe mich nie getraut, mal hineinzugucken, meine Mutter hatte zuviele Schauergeschichten darüber erzählt.

Mit dem Fahrrad zum  Wasserrückhaltebecken und dem schön unheimlichen, dunkelgrünen Geisterweg, in dem es angeblich Skelette geben sollte, wo, wußte niemand, aber keine Frage, sie waren da! Die Erwachsenen behaupteten, das wäre alles Quatsch, aber ganz geheuer war der Weg ihnen auch nicht. Im Sommer hingen grüne, meterlange belaubte Luftwurzeln von den dichten Laubwänden herunter. Es war herrlich.

Die alte Schulbibliothek mit dem unebenen Steinfußboden. Die Ausleihen wurden auf Karten notiert, es gab Enid Blyton- und Perry Rhodan-Bücher, und zwar alle, die auf dem Markt waren. Außerdem gab es Frau P., deren freiwillige Aushilfe ich war, nachdem die Bücher mich gekidnappt hatten.

Der kleine Lebensmittelladen, der erst schloss, als die kleine, alte, gebeugte, sture Inhaberin starb. Bis zuletzt verkaufte sie Bananen und Mehl, Shampoo und Haferflocken.

Hinter der Mauer der geheimnisvolle, dichte, verwachsene Park, der nicht betreten werden durfte, dahinter der Fluß, auf dem viel früher echte Lastkähne gefahren sein sollten! Unvorstellbar für mich, aber spannend.

Unser sommerheißes Büro direkt unter Dach. Barfußlaufen auf Büroteppich von vor dreißig Jahren, schmelzender Teerbelag auf dem nicht begehbaren Balkon neben meinem Schreibtisch. Piepsende Modems und telefonierende Kolleginnen. Die minzgrüne Kantine mit dem cholerischen, aber sehr gut kochenden Koch.

Meine erste eigene Wohnung, zu klein, zu laut, zu warm, ohne Balkon, aber mit sonnengelbem Teppichboden, den ich nie bereut habe.

Die alten Wohnungen meiner Freundinnnen, in denen ich fast auch zuhause war. Küchen, in denen wir gemeinsam den Geburtstagsabwasch erledigt und endlose Gespräche geführt haben.

Alle Zeltlager. Die Zelte! Bundeswehrzelte mit Plane als Boden, täglich auf- und abgebaut. Die Lagerküche, die vor der Benutzung erstmal gründlich geputzt werden musste. Der durchdringende Duft nach warmem Gras, Sommer und Freiheit.

Der alte, jetzt abgerissene Gasthof, der erst rosa und dann so schön gelb gestrichen war, und in dem mein gruseliger Tanzkurz und die Silberhochzeit meiner Eltern stattfand. Der kühle, dunkle Flur mit dem Terrazzosteinfußboden und der verheißungsvollen Eistruhe darin. Der Kaugummiautomat an der Hauswand, an dem man auch karamellisierte Erdnüsse für dreissig Pfennig ziehen konnte.

Verlorene Orte, nur ein paar davon. Sehr geliebt. Die Erinnerung bleibt. Man muss sie nur wachhalten.

Wenn einer eine Reise tut…

… dann holt ihn manchmal die Vergangenheit ein.

Heute bin ich zum ersten Mal seit acht Jahren wieder mit einer Fähre gefahren, von Cuxhaven nach Brunsbüttel. Eigentlich ja ein Witz von Fährüberfahrt, eine Stunde und fünfzehn Minuten, das Land verschwindet niemals dramatisch am Horizont, nein, der grüne Saum begleitet das Schiff während der ganzen Fahrt.

Und trotzdem: Die Geräusche, das Alarmsignal, wenn der Bug der RoRo-Fähre sich nach unten senkt, das Schwappen der Wellen gegen die Bordwände und der Geruch nach verbranntem Diesel – genau wie damals. Sofort ist alles wieder da, das Gefühl von: „Das ist mein Schiff!“, und dieser kleine Stolz, wenn alles reibungslos klappt, die Abfahrt pünktlich, die PKW-Einweiser rauhbeinig, aber kompetent sind, wenn die Sonne kurz durch die Wolkendecke guckt – alles meins. Früher war noch die Gewissheit dabei, dass ich eine Vielzahl der Fahrzeuge und Kabinen an Bord für die Passagiere gebucht hatte und verantwortlich für jede Menge Urlaubsglück, aber auch Urlaubsweh war. An Bord landete ich wie heute irgendwann immer mit den Ellenbogen auf der Reeling, den Blick abwechselnd aufs Meer und die Passagiere gerichtet, immer auf der Suche nach Deutschen, die vermutlich über unser Büro gebucht wurden.

Vom Schiff aus ist es nur ein kleiner gedanklicher Schwimmzug und schon bin ich in meinem alten Büro, Großraum, alle Fenster auf die laute vierspurige Straße hinaus. Selbstverständlich ein Raucherbüro mit verdrecktem Teppichboden in dunkelgrau, alten Stahlschränken und einem Sammelsurium aus Schreibtischen und Büromöbeln, die in der übrigen Firma keiner mehr haben wollte. Aus diesen unmöglichen Räumen heraus haben wir für zigtausende Menschen Träume wahrgemacht, Norwegen, Schweden, Irland, Großbritannien und Tunesien, wir haben geplant, organisiert, Wartelisten geführt, doch noch den Platz mit Stromanschluss für den Kühlanhänger ergattert, die Kabine gefunden, ohne die die Überfahrt nicht möglich gewesen wäre. Wir haben bei den Reedereien um den Erlass von Stornogebühren gebettelt und hatten oft, aber nicht immer Erfolg. Es gab Stammkunden, die uns norwegische Schokolade schickten. Einmal fanden wir einen frisch geangelten und geräucherten Lachs in einem Paket.

Ein Wochenende im Sommer verbrachte ich mit einem norwegischen Programmiererteam im Büro, als das erste Buchungssystem am PC eingerichtet wurde. Wir gingen einmal am Tag online und übermittelten die gebuchten Daten, weil alles andere viel zu teuer gewesen wäre. Wir liefen barfuß oder auf Socken und bestellten Pizza, weil man das in Norwegen so macht.

Ich ließ mich von meinem Chef anbrüllen, brüllte zurück und musste mich entschuldigen. Unser Kühlschrank und die Mikrowelle standen zusammen mit den Servern und einem alten Telex im Faxraum, in dem wir über vier verschiedene Faxgeräte mit der Welt kommunizierten. Im Sommer war es stickig warm, im Winter verraucht und stickig warm.

Es war eine großartige Zeit. Alles war neu und noch ohne Routine, ich konnte mich ausprobieren, da noch niemand wusste, wie es lief. Später änderten sich die Dinge, aber so ist das: Alles ändert sich. Bis dahin aber war es meine glücklichste Zeit im Arbeitsleben, und alles das kam zurück, als die kleine Elbfähre sich an den Anleger schob und PKW und Wohnmobile ausspuckte.

Straßen werden überbewertet. Man sollte viel öfter die Fähre nehmen.