Der Wels und der Goldfisch

Am modrigen Boden eines Tümpels lebte ein griesgrämiger Wels. Die anderen Bewohner des Tümpels waren nach und nach verschwunden, aber das war nicht seine Schuld, er musste ja leben, oder? Der Rückweg durch die kleine Quelle war ihm versperrt, etwas, das er nicht hatte kommen sehen. Nun, man konnte nicht an alles denken. Alles in allem war dieser Tümpel ein Glücksfall gewesen, er war König seines kleinen Königreichs, auch, wenn er aktuell recht wenig fressbare Untertanen hatte.
Müßig nagte er an den Angelhaken, die in seinem Unterkiefer steckten und ihm etwas Wildes, Majestätisches gaben, wie er fand, und summte dabei neue Verse. Insgeheim hatte er schon immer eine Vorliebe für Poesie gehabt. „Oh du süßes Stöbern im Schlamm, meine einz´ge Freude…“ sang er gerade, als vor ihm etwas Rotgoldenes aufblitzte, das köstlich nach jungem Fisch roch.
„Wer bist du?“ fragte das Rotgoldene.
„Die Frage ist wohl eher, wer bist du?“ knarzte der Wels. Klein war dieser Fisch, aber er war nicht wählerisch.
„Ich bin ein Goldfisch und ich bin neu hier. Ist hier noch jemand? Außer dir hab ich niemanden gesehen!“
„So?“ Der Wels war abgelenkt. Weit oben roch es würzig nach Würmern. Ihr Geruch vermischte sich mit dem des Goldfischs. „Warte hier“, sagte er, „ich bin gleich wieder da.“ Und mit weit aufgerissenem Maul schnappte er sich zuerst das eine, dann das andere Wurmbündel. Die Haken bemerkte er erst, als sie ihn unwiderstehlich nach oben zogen, hinauf ins Licht.
„Hallohoo?“ rief der Goldfisch, „wo gehst du hin?“
„Er ist ins Licht geschwommen“, wisperte eine Gruppe winziger Barben, die plötzlich neben dem Goldfisch aufgetaucht waren, „dem Haken sei Dank!“
„Oh“, sagte der Goldfisch, „und wer seid ihr?“
„Wir?“ sangen die Barben, „wir sind die Überlebenden!“
Der Goldfisch war verwirrt. Ein seltsamer Ort. Vielleicht hätte er doch beim Blutweiderich bleiben sollen.

Das war ein Beitrag für die abc.etüden, Wochen 47/48.2020, die Bedingungen: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Ulli mit ihrem Blog Cafe Weltenall. Sie lauten: Quelle, griesgrämig, stöbern, und organisiert wird das Ganze dankenswerterweise von Christiane – vielen Dank! 🙂

27 Gedanken zu „Der Wels und der Goldfisch

    • Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, mit „Es war einmal“ anzufangen… 😅
      Beim Schreiben habe ich gelernt, dass Welse Riesen werden können, 174kg! (also, nicht in Hausaquarien, hoffe ich) Jetzt frage ich mich, ob es sie eigentlich auch in den Seen gibt, in denen ich im Sommer schwimme… hua.

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      • Theoretisch ja 😉 … ich kann mich an Geschichtenaus meiner Kindheit erinnern, wo Welse in der Donau planschende Kinder angefallen haben … falls das eine Fischerlateinzeitungsente war – ich kann nix dafür, damals war die Presse insgesamt jedoch glaubwürdig. In einem anderen Bericht plus Foto, sah man ein 4 Meter-Exemplar, das in der Alten Donau gefangen wurde. Die Alte Donau ist ein seenartiger Altarm der Donau ohne Verbindung zum Fluß, etwa 10 km lang, einige hundert Meter breit und nicht tiefer als 5 Meter…

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      • Ja – etwa zweimal so lang, wie mein Türstock hoch ist … 😉
        Andererseits: der 174kg-Brocken muß ja auch 3m lang sein … also für so ganz ausgeschlossen halte ich’s nicht – obwohl bei 4m, geschätzt, die Masse des Tieres etwa doppelt so groß sein müßte…

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  1. Wir haben in der Nähe einige alte Baggerseen aus der Zeit, als hier noch Braunkohle im Tagebau abgebaut wurde, Die sind auch gut mit Fischen besetzt, u.a. auch mit Welsen. Mein jüngster Sohn hat vor zwei Jahren einem seiner Freunde geholfen, einen Wels zu bergen: 1.80 m Länge! Schmecken tun die nicht mehr, deswegen werden sie nach Abnahme der Masse für die Vereins-Annalen auch wieder ausgesetzt.
    Es gibt sie also wirklich!

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  2. Pingback: Fazit Textwochen 47.48.20, willkommen Adventüden 2020! | Irgendwas ist immer

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