Der Wels und der Goldfisch

Am modrigen Boden eines Tümpels lebte ein griesgrämiger Wels. Die anderen Bewohner des Tümpels waren nach und nach verschwunden, aber das war nicht seine Schuld, er musste ja leben, oder? Der Rückweg durch die kleine Quelle war ihm versperrt, etwas, das er nicht hatte kommen sehen. Nun, man konnte nicht an alles denken. Alles in allem war dieser Tümpel ein Glücksfall gewesen, er war König seines kleinen Königreichs, auch, wenn er aktuell recht wenig fressbare Untertanen hatte.
Müßig nagte er an den Angelhaken, die in seinem Unterkiefer steckten und ihm etwas Wildes, Majestätisches gaben, wie er fand, und summte dabei neue Verse. Insgeheim hatte er schon immer eine Vorliebe für Poesie gehabt. „Oh du süßes Stöbern im Schlamm, meine einz´ge Freude…“ sang er gerade, als vor ihm etwas Rotgoldenes aufblitzte, das köstlich nach jungem Fisch roch.
„Wer bist du?“ fragte das Rotgoldene.
„Die Frage ist wohl eher, wer bist du?“ knarzte der Wels. Klein war dieser Fisch, aber er war nicht wählerisch.
„Ich bin ein Goldfisch und ich bin neu hier. Ist hier noch jemand? Außer dir hab ich niemanden gesehen!“
„So?“ Der Wels war abgelenkt. Weit oben roch es würzig nach Würmern. Ihr Geruch vermischte sich mit dem des Goldfischs. „Warte hier“, sagte er, „ich bin gleich wieder da.“ Und mit weit aufgerissenem Maul schnappte er sich zuerst das eine, dann das andere Wurmbündel. Die Haken bemerkte er erst, als sie ihn unwiderstehlich nach oben zogen, hinauf ins Licht.
„Hallohoo?“ rief der Goldfisch, „wo gehst du hin?“
„Er ist ins Licht geschwommen“, wisperte eine Gruppe winziger Barben, die plötzlich neben dem Goldfisch aufgetaucht waren, „dem Haken sei Dank!“
„Oh“, sagte der Goldfisch, „und wer seid ihr?“
„Wir?“ sangen die Barben, „wir sind die Überlebenden!“
Der Goldfisch war verwirrt. Ein seltsamer Ort. Vielleicht hätte er doch beim Blutweiderich bleiben sollen.

Das war ein Beitrag für die abc.etüden, Wochen 47/48.2020, die Bedingungen: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Ulli mit ihrem Blog Cafe Weltenall. Sie lauten: Quelle, griesgrämig, stöbern, und organisiert wird das Ganze dankenswerterweise von Christiane – vielen Dank! 🙂

Dein Schweinehund und die Fee

Du sitzt an deinem Schreibtisch und schreibst vor dich hin, dein Schweinehund liegt neben dir und schnarcht leise. Es ist still und friedlich. Plötzlich verstummt das Schnarchen, du hörst ein Schmatzen, dann ist es wieder still. Du wunderst dich. Normalerweise läuft das anders. Wenn dein Schweinehund wach wird, ist es vorbei mit der Ruhe. Du guckst nach unten. Dein Schweinehund sitzt da und starrt ein Loch in die Luft.
„Was ist los? Hast du schlecht geträumt?“ Er antwortet nicht. „Hallo? Jemand zu Hause?“ versuchst du es nochmal. Seltsam. Wenn du es nicht besser wüsstest, würdest du sagen, er sieht ein bisschen entrückt aus.
Dann schüttelt er den Kopf und guckt dich an. „Hör mal“, sagt er, immer noch mit diesem seltsamen Ausdruck im Gesicht, „glaubst du eigentlich an Feen?“ In der rechten Pfote dreht er ein rosa Pralinenpapier zu einer kleinen, glänzenden Plastikwurst zusammen.
„Äh… was?“
„Feen. Du weisst schon, diese kleinen Dinger mit Flügeln und so.“
Jetzt bist du besorgt. Vielleicht hat er die Grippe oder Fieber oder so etwas. „Äh… also… du meinst diese Wesen aus Kinderbüchern? Naja… im metaphorischen Sinn vielleicht schon…“
„Neinnein, nicht im metaphorischen Sinn, ganz real meine ich.“ Ungeduldig sieht er dich an.
„Wenn du mich so direkt fragst: Nein. Tue ich nicht.“ Entschlossen verschränkst du die Arme. Direkte Fragen erfordern direkte Antworten. Vielleicht hat er zuviele deiner etwas seltsameren Bücher gelesen? Du wolltest schon längst mal die Regale aussortieren.
„Dachte ich mir“, murmelt dein Schweinehund, „war ja nicht anders zu erwarten.“
„Wieso?“ fragst du spitz.
„Du bist einfach zu einfallslos, deswegen. Aber das ist jetzt auch egal, hör zu, ich muss dir von meinem Traum erzählen.“
Du rollst innerlich mit den Augen. Gibt es etwas langweiligeres als endlose Erzählungen über anderer Leute Träume? Vielleicht noch ein Puzzle mit eintausend Teilen in schneeweiß.
Dein Schweinehund guckt feierlich und legt los. „Ich habe geträumt, ich wäre in der Stadt auf dem Weg zum Dönerladen, und da höre ich in einer Seitenstraße etwas in den Mülltonnen rascheln. Das könnte ja alles mögliche sein, also bin ich hin und hab nachgeguckt…“
„Nachgeguckt!“ grätscht du dazwischen, „du wolltest Dönerreste jagen, gib´s zu!“
„… nachgeguckt, was das ist. Ich hebe den Deckel von der Mülltonne und da fliegt mir so ein kleines Ding mitten ins Gesicht.“
Du grinst. „Eine Fee, was?“
Dein Schweinehund guckt dich erstaunt an. „Woher weisst du das? Egal. Auf jeden Fall hab ich jetzt eine Fee auf der Nase sitzen, und soll ich dir was sagen? Anstelle von echten Flügeln hat sie so rosafarbenes Pralinenpapier an der Stelle klemmen.“ Er betrachtet die Pralinenpapierwurst in seiner Pfote. „Sie raunzt mich an, mit einer Stimme wie diese Schauspielerin aus diesem Krimi, den du immer guckst, diese Staatsanwältin aus Münster, wie heißt sie noch?“
„Wilhelmine Klemm?“
„Richtig. Genauso. Sie meckert mich also an, jaja, sie wäre eine Fee, ich bräuchte gar nicht so blöd zu gucken, und wenn ich auch nur ein Wort über ihre Flügel verlieren würde, könne sie für nichts garantieren, und, jaja, ich hätte ihr geholfen mit dem Mülltonnendeckel, und ich solle schnell machen mit den drei Wünschen, sie hätte heute noch anderes zu tun. Naja. Also hab ich mir halt was gewünscht.“ Er schielt zu dir hoch.
Du guckst misstrauisch. Diesen Ausdruck kennst du. „Und? Was hast du dir gewünscht?“
„Glänzendes Fell. Und guck: Es hat funktioniert!“ Er dreht sich hin und her, und du musst zugeben, er hat Recht – sein Fell glänzt wie frisch mit Ei gewaschen. Seltsam. Heute morgen beim Frühstück hast du noch gedacht, dass er ein Bad dringend notwendig hätte. Du guckst sein Fell an und dann die Pralinenpapierwurst in seiner Pfote. Ihr habt keine rosa Pralinen in der Wohnung. Langsam fragst du: „Und der zweite Wunsch?“
„Ein Dönerladen direkt an unserer Wohnung.“
Du siehst ihn an und er dich, dann rennt ihr beide zum nächsten Fenster. Du atmest tief ein. Auf der anderen Straßenseite steht „Achmed´s bester Döner“ über dem Laden, der seit Monaten leer steht. Genau genommen stand er bis gerade eben leer. Mit hohler Stimme fragst du: „Was war der letzte Wunsch?“
Dein Schweinehund senkt den Kopf und murmelt fast unverständlich: „Ich hab ihr neue Flügel gewünscht. Natürlich nur, wenn sie das will.“
„Du hast… neue Flügel?“ Dein Schweinehund nickt mit mikroskopisch kleinen Kopfbewegungen. Er sieht immer noch zu Boden, als ob es da ungeheuer interessante Dinge zu entdecken gäbe. Langsam breitet sich ein Grinsen in deinem Gesicht aus. „War sie hübsch?“
Dein Schweinehund blickt auf, sieht dich an und nickt. Seine Nase ist rot geworden. Seine Augen glänzen, seine Ohren zucken. Du bemühst dich, ernst zu bleiben. Verliebte soll man nicht auslachen.
„Hör mal“, fragt dein Schweinehund, „haben wir eigentlich was zu essen zuhause?“
„Hm, naja“, sagst du überrumpelt, „die Bratkartoffeln vom Mittagessen sind noch da, und Fischstäbchen haben wir auch noch. Wieso?“
„Och“, sagt dein Schweinehund und guckt schon wieder mit zuckenden Ohren zu Boden, „es könnte eventuell vielleicht sein, dass ich sie zum Abendessen eingeladen habe.“
„Zum Abendessen…“
„… und sie hat gesagt, wenn wir was Anständiges da haben, würde sie es sich überlegen.“ Dein Schweinehund blickt dich hoffnungsvoll an. „Fischstäbchen und Bratkartoffeln sind doch anständig, oder?“
Du nickst langsam. „Klar. Würde ich schon sagen. Wir können ja mal gucken, ob wir noch eine Tüte Karamellpudding haben.“
Dein Schweinehund strahlt. Du guckst an dir herunter. Vielleicht solltest du dich umziehen. Ihr habt ja schließlich nicht jeden Abend eine Fee mit einer Stimme wie Wilhelmine Klemm zu Besuch.

Frühling

Frühling

Gläserne Luft umschließt die Brücken
verborgen im Milchglashimmel die Sonne
samtiger Dunst auf ruhigem Wasser
schlaff hängt die Fahne am Schiffsmast
von ferne
Möwengeschrei
filigraner Frühling in chinesischen Bildern
Märchen schweben über dem Fluss

Der Dienstag dichtet! 🙂  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch Wortgeflumselkritzelkram, Mutigerleben, Werner KastensFindevogel, die Wortverzauberte und  Ein Blog von einem Freund sind mit von der Partie. Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

Ausgelesen: Die Verlobten des Winters. Von Christelle Dabos.

Dieses Buch habe ich geschenkt bekommen und gern gelesen. Es ist ein schöner Fantasyroman um eine junge Frau mit besonderen Fähigkeiten (was auch sonst?), die ihre Heimat aus familiären Gründen verlassen muss: Die Matriarchinnen ihres Clans beschließen, dass sie den Adligen Thorn auf einer anderen Welt heiraten soll – warum, wird ihr nicht gesagt. Soweit, so gut. Die gewiefte Fantasy-Leserin weiß, was nun vermutlich kommen wird: Junge Frau mit besonderen Fähigkeiten muss ihr Zuhause verlassen, gerät in Gefahr, verliebt sich, wird abgewiesen und versagt, beweist ihre Fähigkeiten dann doch und der Geliebte liebt sie, hurra!, Happy End. Tja, Überraschung, so läuft es in diesem Buch nicht. Also zumindest in Band eins noch nicht.

Ophelia, die Heldin, ist ein kleines bisschen komplizierter als die durchschnittliche Fantasy-Heldin und macht es weder sich noch Thorn noch den gut- oder schlechtgesonnenen Menschen um sie herum leicht. Was das Buch aber vor allem sehr, sehr besonders macht, sind die verschiedenen Archen, auf denen die Menschen durch den leeren Raum schweben. Sie sind höchst interessant geschrieben, überraschen einen immer wieder und machen Lust auf mehr Entdeckungen in dieser Welt.

Thorn, der männliche Held in diesem Buch, ist ein ziemlich sonderbarer Held, so ganz und gar nicht romantisch schillernd, sondern eher, äh, speziell, wenn man das so sagen darf. Spleenig ist ein Begriff, der mir spontan einfällt. Gute Eigenschaften und eine geheimnisvolle Geschichte hat er natürlich auch, wie ein Held sie eben haben muss in einem solchen Roman.

Es macht Freude, sich in diesem Universum aufzuhalten und neues zu entdecken, und so ganz nebenbei möchte man natürlich auch wissen, wie es weitergeht! Die Geschichte ist nämlich sowas von nicht abgeschlossen, aber hallo! Damit man weiß, wie es weitergeht, muss man Band 2 und vermutlich auch noch Band 3 und Band 4 kaufen. Oder ausleihen, wie es die kluge Bibliotheksnutzerin macht.

Ein Manko habe ich. Auf dem Einband steht wie auf so vielen Büchern eine dieser schnell geschriebenen Empfehlungen, die mich von Zeit zu Zeit doch sehr wundern: „Auf Anhieb ein Klassiker“, „beschwört den Humor und den Gerechtigkeitssinn von Harry Potter“ und so weiter. Hm. Da bin ich mir nicht so sicher. Das Buch ragt auf jeden Fall aus der Vielzahl der Fantasy-Veröffentlichungen heraus, keine Frage, es ist originell, gut geschrieben und nicht so vorhersehbar wie viele andere. Ob es wirklich ein Klassiker wird? Und zu vergleichen mit Harry Potter ist es auf keinen Fall, dafür sind die Bücher viel zu unterschiedlich in Stimmung, Schreibstil, Geschichte, eigentlich in allem, was mir so einfällt.

Für diese leicht skurrilen Einbandweissagungen kann das Buch aber nichts. Es steht für sich selbst, und das tut es: Ein sehr eigenes, unverwechselbares, abgedrehtes Märchen in einer verwunschenen Welt. Gern mehr davon!

Der Blutweiderich und der Goldfisch

(Auf mehrfachen Wunsch hin. 🙂 )

Der heftige Regenguß hatte den lehmigen Uferrand des kleinen Tümpels gerade so weit aufgeweicht, wie der Blutweiderich es mochte. Zufrieden schmatzte er mit seinen Wurzeln im Morast und dehnte und streckte seine zahllosen Füße in alle Richtungen, schüttelte seine lange, lila Mähne und wollte gerade anfangen, die letzten Sonnenstrahlen zum Abendbrot zu trinken, als er ein leises Gejammere hörte.
„Huuuuu… huuu… !“
Der Blutweiderich drehte seine lila Blütenblätter in alle Richtungen.
„Huhuuuuu!“
Das kam von oben! Direkt aus dem Baum! Der Blutweiderich zögerte. Entweder, er sah nach, was das war oder er würde neugierig in die Nacht gehen, und wenn es eines gab, das er nicht ausstehen konnte, dann war das ungestillte Neugier. Wie gern hätte er jetzt das Stimmorgan der Weinbergschnecke gehabt, die so laut wie die Nachtigall singen konnte (nur drei Oktaven tiefer)! Aber da hatte der Große da oben ihn wohl irgendwie übersehen.
Vorsichtig, aber bestimmt zog er also seine zahllosen Füße aus dem schönen, kühlen Schlamm und machte sich an den Aufstieg. Er musste gar nicht weit am Stamm der Weide emporklettern, da sah er schon, wer da so jämmerlich schluchzte. Ein sehr kleiner Goldfisch war es, der in einem fast noch kleineren mit Wasser gefüllten Astloch festsaß.
„Huuuu!“, jammerte er und schlug ab und zu mit der Schwanzflosse, aber nur sehr vorsichtig, damit er ja kein Wasser aus dem Astloch verlor.
„Na, da hast du dir ja was schönes eingebrockt“, sagte der Blutweiderich und krallte all seine Zehen fester in die Baumrinde. Der Goldfisch erschrak, aber nur vorsichtig, damit ihm ja kein Wasser verloren ging.
„Du bist der Blutweiderich!“, rief er überrascht. „Kannst du mir helfen? Ich sitze hier fest!“
„Ja, du Schlaufisch, das sehe ich. Wie hast du das angestellt? So hoch hinauf kann doch kein Fisch springen!“
„Doch, ich schon!“, rief der Goldfisch und warf sich in die Brust, dass seine goldenen Schuppen in der Abendsonne glänzten. „Aber jetzt traue ich mich nicht mehr runter…“ Seine Stimme näherte sich wieder verdächtig dem „Huhuu“-Tonfall an. „Was, wenn ich daneben springe? Was, wenn ich es nicht schaffe??“
„Tja, das wäre wohl ziemlich, äh, trocken“, sagte der Blutweiderich und kicherte. Dann wurde er ernst. „Lass mich kurz überlegen“, sagte er zum Goldfisch und überlegte kurz. „Ich hab´s!“ rief er dann. „Warte, ich komme gleich zurück.“
„Oh-keee…“, schluchzte der Goldfisch und schlug mit der Schwanzflosse, aber ganz vorsichtig, damit er ja kein Wasser verspritzte.
Der Blutweiderich machte sich an den Abstieg. Unten angekommen grub er sofort einige seiner zahllosen Füße ins Erdreich und gab das vereinbarte Klopfzeichen. Nichts. Ungeduldig wiederholte er das Klopfen und wartete. Nichts. Wo trieb er sich denn um Himmelswillen herum, wenn man ihn brauchte? Ärgerlich stampfte er mit allen Füßen gleichzeitig auf, dass die Erdklümpchen in alle Richtungen flogen. Unter ihm grollte der Boden, warf ihn mit einem gewaltigen Schwung zur Seite und formte einen mächtigen Hügel aus dunkler Erde, aus dessen Spitze der Maulwurf sein sandiges, pelziges Haupt in die Luft reckte.
„Was denn?“ grollte er, „du weißt doch, dass ich es hasse, beim Essen gehetzt zu werden!“ Und anklagend hielt er den Rest eines fetten Regenwurms hoch.
„Ja, ich weiß, aber wir haben hier einen Notfall, und wir brauchen dich! Da oben, im Baum, da sitzt ein Goldfisch fest und ihm geht das Wasser aus!“ Erwartungsvoll sah der Blutweiderich den Maulwurf an.
„Tja, das ist bedauerlich“, antwortete der und biß schmatzend ein großes Stück vom Regenwurm ab. „Und was soll ich da tun? Den Baum hochklettern?“ Er lachte schallend mit vollem Mund, was kein schöner Anblick war.
Der Blutweiderich rollte mit allen Blütenblättern, die er hatte. „Das ist doch sonnenklar! Du gräbst einen Tunnel bis zum Tümpel, durchbrichst die Tunnelwand, der Tunnel füllt sich mit Wasser, du springst raus, der Goldfisch springt in den Tunnel und schwimmt zum Tümpel. Fertig!“
Dem Maulwurf blieb das letzte Stück Regenwurm im Rachen stecken, er hustete heftig, schlug sich mit seinen Schaufeln auf die Brust und als er wieder atmen konnte, blickte er den Blutweiderich anklagend an. „Woher hast du bloß immer solche Ideen! Du weißt doch genau, wie ich es hasse, Wasser auf meinen Pelz zu bekommen!“ Er blinzelte und schüttelte den Kopf. „Aber da ist wohl nichts zu machen, oder?“
Und natürlich hatte er Recht, da war nichts zu machen, und es wurde alles genau so erledigt, wie der Blutweiderich es anordnete. Nach vielem guten Zureden wagte der Goldfisch schließlich zitternd den Sprung, landete in der weichen Erde des Maulwurfshügels, bekam vom Maulwurf einen Schubs, der ihn ins Wasser beförderte, wühlte sich dann jammernd und hustend durch den modrigen Schlammtunnel und tauchte spuckend und würgend, aber glücklich im Tümpel wieder auf.
Der Blutweiderich war zufrieden, und nach vielerlei gegenseitigem Dank, Schulterklopfen und den Jubelrufen des Goldfischs machte der Maulwurf sich mit nassem Fell davon, um sein so jäh unterbrochenes Abendessen fortzusetzen, nicht ohne vom Blutweiderich auf einige besonders ertragreiche Regenwurmansiedlungen hingewiesen worden zu sein. Schließlich hatte er seine zahllosen Füße nicht umsonst überall.
Der Blutweiderich sah dem Maulwurf hinterher, bewunderte die heute besonders regelmässige Form seiner Hügel und grub schließlich mit einem zufriedenen Ächzen all seine Zehen zurück in den morastigen Uferschlamm. Was für ein Abenteuer! Und wie grandios er dieses Problem gelöst hatte! Er versank in tiefe Bewunderung für sich, aus der ihn ein kleines Stimmchen riss. Es war der Goldfisch.
„Du, Blutweiderich?“ flüsterte er vorsichtig aus dem Tümpel.
„Was ist denn noch?“, antwortete der ein wenig gereizt.
„Ja, ähm, weißt du… hier im Wasser, da liegt ein großes Stück Draht…“
„Ja, und?“
„Ich hänge fest“, schluchzte der Goldfisch.
Der Blutweiderich seufzte.

Ausgelesen: Komm, ich erzähle dir eine Geschichte. Von Jorge Bucay.

Dieses Buch bekam ich zum Geburtstag geschenkt mit dem Hinweis: Damit du auch von diesen wunderbaren Geschichten profitierst! Tja. Naja. Also, schlecht waren sie nicht, aber sie waren eben auch keine Sternstunde in meinen Leseerlebnissen.

Das Buch besteht aus einer Vielzahl von verschiedensten Geschichten, die in eine eher unwichtige Rahmenhandlung mit einen sehr von sich überzeugten Therapeuten eingebettet sind. Demian, ein junger Mann mit den üblichen Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, kommt „zum Dicken“, einem Psychotherapeuten, der ihm im Gegensatz zu anderen Therapeuten zu jeder seiner Lebenssituationen und Probleme eine passende Geschichte erzählt. Ansonsten gibt es keinen roten Faden, man lernt weder Demian noch den Dicken näher kennen, und das ist auch nicht gewollt, da die Hauptsache die vielen Geschichten, Sagen, Märchen und Parabeln sind.

Sie sind sehr unterschiedlich, viele haben mir gefallen und ein kleines Aha-Erlebnis beschert, manche fand ich langweilig, andere habe ich schlichtweg nicht verstanden. Ein paar wunderschöne Perlen finden sich, bei anderen saß ich da und überlegte: Was möchte der Autor mir damit sagen? Vielleicht ist das auch schon der Sinn des Buches: Ins Überlegen kommen über sich selbst. Nicht übel. Wer Märchen und Sagen mag, kommt hier bestimmt auf seine Kosten. Aber für Leser wie mich wohl eher nicht gedacht. In den Lobgesang vieler anderer über dieses Buch kann ich leider nicht einstimmen.

Ausgelesen: Die wundersamen Koffer des Monsieur Perle. Von Timothée de Fombelle.

Eine Fee, die sich unsterblich verliebt, dafür ihren Zauber aufgibt und ihren Geliebten trotzdem verliert – was für ein Buchauftakt. Allein die ersten 15 Seiten des Buches sind schon herzzerreissend. Und es folgen noch 314 weitere traumhafte Seiten bis zum Ende, das den Leser sprachlos zurücklässt. Was für ein wunderbares Buch!

Allerdings muss man den Schreibstil von Timothée de Fombelle mögen. Traumverhangen, melancholisch, manchmal rätselhaft und sehr französisch, was durch jede Zeile der hervorragenden Übersetzung von Tobias Scheffel und Sabine Grebing hindurch schimmert. Die Sätze scheinen zu tanzen, der Autor nimmt einen mit hinein in seine poetische, zauberhafte Welt, und selbst wenn er seinen Ich-Erzähler in unserer Gegenwart leben lässt, schimmert doch immer wieder das Licht seiner Parallelwelt zwischen den Zeilen auf. Es gab ein paar kleine Längen, im ersten Drittel musste ich mich ab und zu zusammenreißen, um weiterzulesen, aber als ich die ersten Zusammenhänge begriffen hatte, war das vorüber. Zum Schluss hin brauchte ich Taschentücher und blieb berührt zurück.

Das Buch handelt von einer großen, unsterblichen Liebe, dem sich treu bleiben obwohl man ohne eigenes Verschulden getrennt wurde, dem immer-weitermachen, obwohl es hoffnungslos erscheint und dem ausharren, obwohl alles dagegen spricht. Der Autor bindet Märchenelemente mit ein und wandelt sie ab in etwas Neues, als Leser schwebt man ständig zwischen „oh, kenne ich“ und „nein, kenne ich doch nicht“, und irgendwann ist es egal, ob man etwas wiedererkennt oder nicht, dann hat einen das Buch nämlich sanft gefangengenommen.

Ich war von dem Zweiteiler „Tobie Lolness“ vom selben Autor ebenfalls sehr angetan (großartige Bücher! Sehr, sehr großartige Bücher!!), das war nun das dritte, das ich von ihm gelesen habe. Und es wird auf keinen Fall das letzte gewesen sein!