Zelten

Mit verschränkten Armen stand sie auf der Terrasse und sah zu, wie er das kleine Zelt aufbaute. Es war lächerlich. Er würde erfrieren. Nachts war es kalt, heute morgen hatten sie minus -2,1 Grad gehabt und Raureif auf dem Rasen. Selbst die Forsythien sahen aus, als ob sie Schnupfen hätten, und ihr Mann wollte zelten. Im Garten. Und dabei hatten sie sich nicht mal gestritten.
Sie ging kurz hinein, holte die graue Strickjacke und ihren Kaffee, dann ging sie wieder hinaus und sah ihm weiter zu. Sie machte sich Sorgen. Was ging in ihm vor? Seit vierzehn Jahren kannte sie ihren Mann und er hatte in dieser ganzen Zeit nie gezeltet. Nicht einmal. Und auch davor hatte er nicht zu den Outdoor-Liebhabern gehört, die mit einer dünnen Plane zwischen sich und der Welt zufrieden waren. Zumindest hatte sie das bis jetzt gedacht. Vielleicht hatte er ihr nicht alles erzählt? Kannte sie ihn überhaupt?
Das Außenzelt stand. Ihr Mann kam stolz lächelnd zu ihr auf die Terrasse und ihr Herz schlug eine Kleinigkeit schneller.
„Na, was sagst du? Jetzt nur noch den Innenteil einhängen und fertig!“
„Mh-mh. Möchtest du noch einen Kaffee? Und sag mir doch nochmal, warum genau du heute Nacht zelten willst.“
„Naja, wann, wenn nicht jetzt? Ich werde nie wieder soviel Zeit haben. Ich nehme an, du hast keine große Lust, im Urlaub zu zelten, oder? Und wenn ich wieder arbeite, mache ich es auch nicht. Du, den Kaffee würde ich nehmen.“ Er sah auf seine schmutzigen Schuhe und dann auf sie, also ging sie in die Küche und holte ihm einen Becher.
Als sie zurückkam, stand er versonnen da und blickte auf das halb aufgebaute Zelt. „Weisst du, ich war nie ein Zelter. Meine Eltern hatten immer Ferienwohnungen, und als Jugendlicher bin ich mit Rainbow Tours gefahren. Wir zwei fliegen irgendwohin und wohnen im Hotel. Also hab ich es nie ausprobiert. Vielleicht gefällt es mir, und ich weiß das gar nicht. Ich kann doch nicht sechsunddreissig Jahre alt sein und nicht wissen, ob mir Camping gefällt!“
Sie stellte sich neben ihn und nahm einen Schluck Kaffee. „Es ist seltsam. Gerade habe ich gedacht, vielleicht kenne ich noch gar nicht alle Seiten von dir. Ich meine: Zelten! Du! Aber weisst du was? Es gefällt mir. Dich nicht ganz zu kennen, meine ich.“ Sie stieß ihn leicht an.
Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. „Du hast nicht zufällig Lust, heute nacht mit mir draussen zu schlafen? Wir könnten den Sonnenuntergang beobachten. Und ich verspreche, ich halte dich warm.“ Er grinste, und ihr Herz schlug wieder eine Kleinigkeit schneller. Gott. Sie konnte diesem Mann einfach nichts abschlagen.

Das war ein Beitrag zu den Extraetüden, die von Christiane organisiert werden – vielen Dank dafür! Die Regeln lauten maximal 500 Wörter, darin unterzubringen sind fünf von sechs vorgegebenen (siehe Bild). Ihr dürft gerne nach meinen Worten suchen 🙂 .

21 Gedanken zu „Zelten

  1. Das ist unglaublich wunderbar und zauberhaft und mein Herz hüpft gerade freudig mit und strahlt – ich bin übrigens ebenfalls weder Camper noch Zelter, und ich fände es auch zu kalt. Aber der Vater meiner Freundin schmeißt bestimmt schon längst den Grill an … 😉
    Könntest du zu den Extraetüden verlinken, nur der Pingeligkeit halber?
    Sei ganz herzlich gegrüßt ❤
    Christiane 😀

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    • Dankeschön – mir hat das Schreiben auch gefallen… 🙂
      Angrillen ist gerade überall angesagt – vielleicht sollte ich auch mal langsam zur Tat schreiten! 🙂
      Verlinkt ist es schon, über das Etüdenbild. Ich kann die Links auch ändern – soll ich den Link auf dich zur Etüde hin ändern?
      Liebe Grüße und einen schönen Tag heute!
      Tanja

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      • Dann hat der Link zu den Etüden nicht geklappt, denn es ist kein Ping da – wo auch immer du den einbaust, ich hätte gern den üblichen Link zur Schreibeinladung, wenn es geht, wobei ich mich gerade selbst der Korinthenkackerei bezichtige, dein Kommentar ist ja da. Ach 😉
        Auch dir einen schönen Tag! 😀

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      • So, nun habe ich den Link auf deinem Namen geändert, aber gepingt hat es immer noch nicht… seltsam, seltsam, ich habe gerade nochmal in den Einstellungen herumgewühlt, da ist alles so, wie es sein soll: Pings und Trackbacks erlaubt, Benachrichtungen zulassen ok… aber auch mit dem doppelten Link pingt da nichts. Ich fürchte, mein Kommentar ist das einzige Ping, das funktioniert! 🙂

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      • Doch doch doch, der Ping ist da. Ich muss den von Hand freischalten, daher siehst du ihn nicht sofort. (Siehst du ihn jetzt?) Alles in bester Ordnung. 🙂

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  2. Deine Geschichte geht ans Herz. Und auf die Gefahr hin, dass ich gleich abgewatscht werde: Ja, ihr Frauen müßt uns Männern auch mal zuhören, dann lernt ihr mehr über uns. *breit grins*

    P.S.
    Wenn ich mich nicht verzählt habe, hast Du sogar alle 6 Wörter untergebracht. Hat das was mit dem Blick von Deinem Mann zu tun???

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    • Jaja… *grins* Ich schreibe hier aus einem komplett männerfreien Haushalt (ok, das Wasserschwein und den Schweinehund nicht mitgerechnet), und ich dachte, wenn schon romantisch, dann mit allen Wörtern! Auch wenn Forsythie jetzt nicht unbedingt zu den Top 10 der romantischen Vokabeln gehört… 🙂

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  3. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 15.16.20 | Wortspende von Ludwig Zeidler | Irgendwas ist immer

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