Herr Miesling bleibt stehen. „Guck mal“, sagt er zu seinem Engel, „der da is neu. Obwohl… so ganz neu isser nich mehr.“ Sie betrachten einen ramponierten Gartenzwerg mit Laterne in der Hand. Er steht in einem handtuchschmalen Vorgarten. „Der hat schon bessere Tage gesehen, was?“ Herr Miesling kichert. „Und die Nase… erinnerste dich noch an den alten Schulze? Der mit dem einen Arm? Der hatte so´ne Säufernase. Hat sich hinter den Büschen versteckt, wenn er getrunken hat. Wir ham ihm den Wodka aus´m Versteck geklaut damals… mein erstes Besäufnis. Gott, hatte ich´n Kater.“ Herr Miesling ist weit weg. Sein Engel piekst ihm in die Seite, bis er blinzelt und zurückkommt. „Ausgeblichen isser auch. Und´n Hinkebein hat er. Also, ne Schönheit isser nich gerade.“
Sein Engel schürzt die Lippen.
„Jaja“, sagt Herr Miesling, „du wieder, alle sind wertvoll, blabla, weiss ich doch. Ich hab ja auch nich gesagt, ich mag ihn nich. Er iss´n bisschen wie wir, findeste nich?“
Sein Engel zieht die Augenbrauen hoch.
Herr Miesling lehnt sich an den Gartenzaun, der sich unheilvoll nach innen biegt. „Schade, dasser hier so allein rumsteht, das geht mir ´n bisschen quer. Er muss sich doch einsam fühlen, oder?“ Herr Miesling lauscht. Hat der Zwerg gerade geseufzt?
Sein Engel tippt sich mit dem Finger an die Nase, wirft einen vielsagenden Blick nach rechts, dreht sich weg und studiert den Himmel.
„Was? Was soll ich da? Oh! Ach so!“ Herr Miesling grinst und wirft seinem Engel einen anerkennenden Blick zu. Er geht einen Vorgarten weiter, zieht einen ähnlich ramponierten Gartenzwerg mit einem Bündel D-Mark-Scheinen in der Keramikhand aus einem Beet und stellt ihn neben den Zwerg mit der Säufernase. „So. Besser. Findeste auch, oder?“ Er zwinkert dem Laternenzwerg zu. „Unsere gute Tat für heute!“
Sein Engel seufzt, aber nur ganz leise. Es klingt zufrieden.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, und kurz vor knapp bin ich noch reingerutscht! Puh. 😁 Organisiert werden sie von Christiane (vielen lieben Dank!) und die Vorgaben sind maximal dreihundert Wörter und die drei Worte Zwerg, quer und fühlen müssen verwendet werden. Die Wortspende kam von Kain Schreiber mit seinem Blog Gedankenflut.
Auf meiner Teichrunde komme ich auch oft an derart ramponierten Herrschaften vorbei. Sie sind, mit Verlaub, allesamt potthässlich. Aber sie stehen alle auf einem Haufen, und ich habe mich schon oft gefragt, ob es da nachts wilde Partys gibt …
Hatte ich schon mal erwähnt, dass ich Herrn Miesling und seinen Engel mag? Nein? Echt nicht? Dann sage ich es noch einmal: Ich finde Herrn Miesling und seinen Engel klasse! 😁🧡👍
Danke für die Etüde zur Nacht! 👍
Herzliche Abendgrüße 😁✨🍷🍕👍
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dem kann ich nur zustimmen: der Herr Miesling erfreut mich immer wieder und die Geschichte istganz und gar wundervoll!
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Oh, dankeschön, das freut mich sehr!
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Ehrlich, wenn man so aussieht, muss man wilde Partys feiern, oder? Ich mag die Zwerge irgendwie, auf so eine schmerzvoll verzogene Art, bei der man eigentlich nicht hingucken möchte, aber doch muss, und wenn man es dann tut, ist man irgendwie gerührt… kann man von verblichener Hässlichkeit gerührt sein? Ich schon. 😊
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Ja, kann man eindeutig. Und mit ein bisschen Phantasie fällt einem auch viel dazu ein 😉🌧️
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Vielleicht singen sie zusammen, ein großer, rauschender Gartenzwergchor… mit Morchelbier. 😁
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O Gott, Morchelbier, erinnere mich bloß nicht … 😎😉
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Nur das beste! Dreißig Jahre alte Trompetenmorcheln, drei Monate im Eichenfaß vergoren und gereift in zwanzigjährigen Gummistiefeln, astrein geklaut aus dem Schrebergärtchen der hundertjährigen Edeltraut. Mjam! 😁
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Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 08.09.22 | Wortspende von Gerda Kazakou | Irgendwas ist immer
Und schon wieder ein Kreuzchen für eine gute Tat. Freue mich mit.
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Wobei ich nicht glaube, dass Herr Miesling irgendwo irgendwelche Listen führt… er ist eher der zufällige Chaos-Typ. 😊
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und am Ende ein zufriedener Seufzer. Wenn das mal nix ist 🙂
Eine wirklich gute Tat, ich hätte auch dazu geraten *g*
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Das ist eine ganze Menge, würde ich sagen! 😊
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