Paula

Paula

Sie seufzte innerlich, so wie sie es immer tat; was blieb ihr anderes übrig? Dieses Mal war der Raum dunkelblau, ein Ton, tief wie die Kanäle an einem strahlenden Herbsttag, sie erinnerte sich genau. Natürlich hatten sie ihr das Blau gestohlen, mit den Jahren hatte sie sich daran gewöhnt. Noch so eine neue Mode, die unversehens über sie gekommen war – wo kam sie her, wer hatte sie kreiert? Wie auch immer, sie war dankbar, das Blau strich kühl und beruhigend über ihre nackten Arme und lenkte sie ab von ihren zahlreichen Zwillingen, die sich gegenseitig ernst ansahen. Vielleicht hätte sie weniger biografisch malen sollen. Ein wenig mehr Freundlichkeit wäre erfrischend gewesen, jetzt, da sie die nächsten Monate miteinander verbringen mussten. Es war etwas ermüdend, immer nur sich selbst zu sehen und sich zu erinnern: Da war sie verliebt gewesen, gegenüber schwanger, zwei Bilder weiter hatte Paris noch vor ihr gelegen. Paris! Sie wartete mit Sehnsucht auf Pariser Ansichten, etwas anderes als ihr eigener Atelierblick musste es sein, mit diesem blauweißen Schleierhimmel, der Gebäude zum Leben erweckte und die Menschen lachen ließ. Nun, das würde warten müssen. Vorerst würde ihre Welt dunkelblau sein, Menschen würden an ihr vorbeiflanieren, einige würden stehen bleiben und versuchen, Kontakt mit ihr aufzunehmen, und sie würde versuchen, in ihren Gesichtern zu lesen: Was sahen sie in ihr? Manchmal kam jemand und nahm sich Zeit, führte stumme Gespräche mit ihr. Sie genoss diese Momente. Dazu war sie gemacht: Angesehen zu werden. Schade nur, dass Museen niemals Fenster hatten, nicht einmal die Pariser Museen. Der Himmel blieb ihr verborgen. Sie seufzte noch einmal und schloss die Augen, als das Licht ausging. Morgen würde ein neuer dunkelblauer Tag kommen.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, die von Christiane organisiert werden. Beitragsregeln siehe Bild oben – die Wörter dieses Mal waren Museum, biografisch und erinnern und kommen von Heidi mit ihrem Blog Erinnerungswerkstatt. Liebe Christiane, vielen Dank für das Organisieren!

15 Gedanken zu „Paula

  1. Das war eine der Ideen, die ich bei Harry Potter immer so toll fand: die Gemälde, die ihre ihre Rahmen verlassen konnten, wenn es Anlass dafür gab. Weil – wie langweilig das Leben für ein Bild sein kann, demonstrierst du ja gerade hier 😉
    Wobei sie noch Glück hat, sie wird ausgestellt und liegt nicht in irgendeinem Tresor …
    Ist deine Paula übrigens Paula Modersohn-Becker, oder hast du ihr nur den Namen geborgt?
    Danke, tolle Idee und Umsetzung! 😁🧡👍
    Frühabendgrüße 😁🍵🍪🍁👍

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    • Ich fand das auch toll, und was für Geschichten allein in den Bildern stecken, deren Gestalten hinter den Bilderrahmen wandern! Geniale Idee, echt. Und ja, das ist Paula. Ich wurde inspiriert von unseren Bildern, die oft alle in einem Raum hängen. Das muss doch furchtbar langweilig sein, oder? 😁

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  2. Bilder, die mit mir sprechen, kenne ich auch. Allerdings nicht aus dem Museum, nur aus dem Bad. Aber das sind jeden Tag etwas andere, mal unrasiert, mal mit verquollenen Augen, oft ungekämmt und manchen läuft Zahnpasta aus dem Mund! Ein echter Horror!

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  3. Paula, wie wunderschön, ich dachte auch an Paula Modersohn-Becker, die leider, leider viel zu früh starb. Sich nicht wegbewegen zu können, muß tstsächlich langweilig sein, es sei denn, man ist ein ganz stiller in sich ruhender Typ *g*. Da könnte es gehen…
    Ein feiner Text. Ich war gespannt bis zur vorletzten Sekunde, was das für eine Frsu sein könnte, die das Blaue liebt und umgeben von Zwillingen lebt. 🙂
    Liebe Grüße von Bruni

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    • Es gibt inflationär viele Selbstportraits… vielleicht, weil die Modelle dann nichts kosten… ich mache auch keine Selfies, mir erschließt sich der Sinn nicht ganz, aber ich hab schon Schneekugeln geschenkt bekommen, in denen ein Foto der schenkenden Person drin war. Nun ja. Kann man machen, muss man aber nicht.

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      • Ein Selbstportrait ist ja bestimmt eine sehr intensive Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Situation, ist bestimmt was anderes als so ein hingehuschtes Selfie
        Es gibt ja unendlich berührende Selbstportaits, ich habe hier eine Postkarte mit einem von Anita Rée hängen, dass mich immer wieder zu sich zieht..
        In einer Schneekugel wäre es mir zu kalt, selbst als Foto.
        Aber ich habe im Winter auch immer das Bedürnis den Models auf den Webeplakaten eine Decke umzulegen.

        Was ganz anderes: Der Kleine Fundevogel fragt mich nun schon zum dritten Mal, ob der Engel im Internet wieder Geschenke bekommt. Du müsstest das doch wissen….

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