Am Sonntag war ich im Zoo

Am Sonntag war ich im Zoo.
Meine Schwester hatte Geburtstag und keinerlei Lust, für jede Menge Leute zu putzen, aufzuräumen und Kuchen zu backen (obwohl sie wirklich leckeren Kuchen kann – Schoko, sehr fluffig, ein Träumchen auf dem Teller quasi). Und da hat sie Recht, finde ich – ich meine, mal ehrlich, Geburtstag ist doch das, was man als Kind heiß und innig herbeigesehnt hat, der Tag konnte gar nicht schnell genug kommen, und wenn er dann da war, der größte Tag aller nur möglichen Tage, dann fing er schon vor dem Aufstehen mit allen möglichen Verheißungen an: Man hat Geburtstag! ICH habe Geburtstag! Heute bin ich die wichtigste Person weit und breit! Und bekomme Kerzen! Und ein Ständchen! Und natürlich Geschenke! Und so war das dann auch, man bekam tatsächlich Kerzen und ein Ständchen und Geschenke, außerdem noch Besuch und noch mehr Geschenke, man musste fast nichts selber tun an diesem Tag, die Luftschlangen flogen einem geradezu in den Mund – nein, das ist aus einem anderen Kindertraum.

Aber trotzdem: Der Tag wurde einem bereitet. Und heute? Tja, da heißt es das Haus putzen und aufräumen und backen und kochen und Streit schlichten und den Abwasch selber machen. Obwohl man doch Geburtstag hat. Irgendwas ist da doch gründlich schief gelaufen, oder? Irgendwie sollte das doch eigentlich anders gehen – sollte man den Kuchen nicht geschenkt bekommen? Und eingeladen werden?

Nun ja, wir werden das heute nicht lösen, auf jeden Fall hatte meine Schwester keinerlei Lust auf Abwasch und ist mit ihrer Familie und mir in den Zoo gefahren. Das Wetter war perfekt, kalt und sonnig und gerade richtig, um in dicker Winterjacke und Mütze zügig von einem Schauplatz zum anderen zu galoppieren, um dann dort in der Sonne stehenzubleiben, sich aufs Gehegegeländer zu stützen und die Bewohner dort anzustarren, die im Prinzip genau dasselbe tun, nur von der anderen Seite her. Wenn man das mit Kindern macht, ist es nochmal schöner als ohne, denn Kinder haben so eine Art, kompromisslos zu gucken, nur zu schauen, zu blicken, sie saugen die Zoobewohner geradezu in sich auf, dass man fast Angst hat, wenn sie jetzt noch ein kleines bißchen mehr starren, ist das Tier weggeguckt.

Das ist dann aber doch nie passiert, und so sind wir durch den Zoo vagabundiert, mehr oder minder ohne Pausen, denn wer braucht schon Pausen bei Erdmännchen, Affen, Nashörnern und Elefanten? Niemand, außer einigen fußlahmen Erwachsenen vielleicht.

Einmal gab es Käsebrötchen und Holundersekt für alle aus richtigen Gläsern, denn am Geburtstag Plastikbecher, das geht einfach nicht, da waren wir uns auch alle sofort einig. Und dann sind wir zu den Eisbären, die eigentlich immer nur schlafend in der Ecke liegen, aber an diesem Tag, am Geburtstagstag, da gab es eine neue Bewohnerin in Yukon Bay, und die hatte bei dem schönen Eisbärenwetter auch keine Lust, Pausen zu machen. Sie trabte über das Gelände, witterte all die Fischbrötchen und Menschen in der Luft, rannte ins Wasser, tauchte und schwamm, als ob sie für einen Marathonlauf trainieren würde. Und es ist ja so: Ein schlafender Eisbär weit entfernt ist eher weniger aufregend. Aber ein schwimmender Eisbär, der mit einem mächtigen Schwung und tausenden Luftbläschen vor einem an der Scheibe entlangtaucht, elegant und riesengroß, rasend schnell und völlig mühelos direkt vor der eigenen Nase vorbeifegt – das ist nicht langweilig, oh nein. Da bekommen auch Erwachsene große Augen und vergessen vorübergehend das Atmen und plötzlich ist es völlig legitim, ganz uncool im Unterwasserbereich herumzurennen, mit den Kindern an der Hand, um noch einmal dieses fremde Wesen so nah an sich vorbeirauschen zu fühlen und eine Ahnung davon zu bekommen, was Wildnis eigentlich ist. Und wenn dann der Neffe mit glänzenden Augen nickt, wenn man ihn fragt, ob das toll gewesen sei, kann man gar nicht anders, als das auch toll zu finden und für einen Moment ist man auf gleicher Höhe und hat wieder dieses Geburtstagsgefühl, obwohl man selber ja gar keinen Geburtstag hat.

Für mich steht seitdem auf jeden Fall fest: Geburtstag und Zoo, das passt ganz wunderbar zusammen, im Grunde gehört das sogar zusammen, und man soll ja nicht trennen, was zusammengehört, oder?
Im Mai habe ich Geburtstag. Wir werden sehen.