Winter

Heute hatte es zum ersten Mal nach Winter gerochen.
Seine weißen Schleier wehten in der Luft und kitzelten im Haar, und als sie auf meine Wangen trafen, hielt er erstaunt inne – so viel Wärme war in mir, dass seine Schleier sich sofort auflösten. Neugierig kam er näher, strich über mein Haar, tupfte kalte Punkte auf die Haut am Hals und umschloss kühl meine Hände, bis ich sie ihm entzog und in die Jackentaschen schob.
Zweifelnd zog er sich ein wenig zurück, unklar darüber, was für ein merkwürdiges Wesen ich wohl sei, so seltsam warm, dann wandte er sich neuen Dingen zu und zog seine eisige Schleppe sorglos mitten durch mich hindurch. Fröstelnd krümmte ich mich zusammen und lief schneller, um nach Haus ins Warme zu kommen.
Und doch… und doch war er so verlockend, roch nach frischem Schneegestöber, klaren Eisblumen, den ersten Schlittschuhspuren auf dem gefrorenen See, nach runzligen Winteräpfeln und Kiefernnadeln, so süß und kalt. Noch war er zurückhaltend, vorsichtig, jung. Später würde er strenger werden, manchmal sogar unerbittlich, aber heute war er die Versuchung selbst.
Es stand fest. Ab jetzt würde ich jeden Tag nach ihm Ausschau halten. Ich würde ihn finden und ihn tief einatmen, mit ihm spielen und Eisblumen pflücken, solange es möglich war.
Das Später würde früh genug kommen.

Wenn die Nächte windig sind

Wenn die Nächte windig und kalt sind und leise nach Zimt duften, dann ist es Zeit für die weiße Sehnsucht. Sie lässt uns die Fenster öffnen und nach Schnee Ausschau halten oder nach den ersten Schneeglöckchen. Wir ertappen uns dabei, wie wir in die kahlen Äste des Baumes draußen starren. Eine Taube guckt zurück, aber wir bemerken sie nicht.
Wir sehnen uns nach weißen Kerzen und einem Feuer im Garten mit klarem Traubenpunsch und danach, sinnlos Zeit vergehen zu lassen. Wir möchten sie als silbernen Nebel in den Himmel aufsteigen sehen, während wir leise Lieder summen. Dabei verzehren wir uns nach Stille und Schweigen, Hand in Hand wollen wir nach oben sehen und darauf warten, dass der Himmel sich endlich öffnet.
Wenn die Nächte windig und kalt sind und leise nach Zimt duften, dann ist es Zeit für die weiße Sehnsucht. Sie leuchtet unwiderstehlich, so wie damals der Stern geleuchtet haben muß.

in der Nacht

in der Nacht
fällt Schnee auf meine Schlafgründe
gleicht Unebenheiten aus
kühlt heiße Quellen
färbt schwarzes weiß
mein Herz schlägt frisch
unter der Eisschicht
Atemzüge schieben Schneewehen
über die Straßen
ich kratze frostige Augen frei
gletscherblau die Welt
eiszapfenbewehrt

Novemberfrost

Novemberfrost

der erste Novemberfrost
zermalmt die letzten Sommerkrumen
schneidet den Herbst in Scheiben
streichelt blasse Mondreste
zieht Frostnebel durch starre Wiesen
drückt kalte Finger in jede Kleidungsritze
küsst goldene Blätter weiß
reckt die Eisfäuste:
mein Land!

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch WortgeflumselkritzelkramMutigerlebenWerner KastensFindevogel, die Nachtwandlerin, Lindasxstories, Myriade, Gedankenweberei, 
MynaKaltschnee, Wortverdreher und Lebensbetrunken, die Wortverzauberte, Lyrikfeder und der BerlinAutor sind mit von der Partie.
Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

Winter

Winter

Ich fühle mich wie eine Wiese
die kahl und abgeweidet ist
zu viele Schafe haben zu lange an mir gefressen
wo einst ein bunter Teppich aus Blumen und Halmen
im Sommerwind wehte
Bienen und Schmetterlinge zum Frühstück vorbeisahen
und die Feldlerche hoch in den lauen Himmel stieg
ist jetzt Ödnis
das Gras ist braun und zertreten
die Blumen längst verdaut
selbst die sanften Hügel wurden flachgestampft
Wind zieht über meine bloße Weide
leer und frostig liegt sie da
es ist kalt

aber
im Dunkel spüre ich die Maulwürfe
sie liegen und schlafen und warten
träumen von feuchter warmer Erde und sanften Hügeln
zwischen wispernden Gräsern
von gedämpftem Grillengezirp in dunklen Gängen
ich weiß
ihre Zeit wird kommen

Dieses Gedicht habe ich vor mittlerweile ziemlich vielen Jahren für eine Freundin geschrieben, der es damals gar nicht gut ging. Glücklicherweise lebt sie heute wieder recht vergnügt vor sich hin, wofür ich sehr dankbar bin.

Der Dienstag dichtet!  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Schaut gerne bei ihr vorbei, das bereichert den Dienstag ganz ungemein. Auch Mutigerleben und Wortgeflumselkritzelkram sind mit von der Partie!

Nebenschauplätze der Kälte

Es ist ja ziemlich kalt dort draußen im Moment. Man braucht lange Unterhosen, zusätzliche Jacken, Mützen, Schals, Handschuhe, Winterstiefel – also zumindest dann, wenn man mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Ich tue das, und, Leute, es ist saukalt auf dem Rad, ehrlich. Aber trotzdem irgendwie schön. Die Sonne scheint schon morgens schräg von unten auf die zugefrorenen Stadtseen, die Parkwege sind frei, die kalte Luft knistert in der Nase und außerdem kann man endlich den etwas zu üppig geratenen Wollschal nutzen, ihn dreimal um Kinn und Nase wickeln und sich freuen, dass man vor Jahren definitiv zu ausdauernd gestrickt hat.

Vorgestern ist mir das Fahrrad eingefroren. Ich hatte schon den Rucksack verstaut, das Schloss geöffnet, es in den Korb gepackt, alle Fahrradklamotten angezogen (siehe oben – das dauert!) und wollte es vom Ständer wegschieben und nichts ging. Beide Räder bewegten sich nicht mehr. Außerdem musste ich es erst vom Boden lösen, da war es nämlich angefroren. Also alles wieder zurück und zu Fuß zum Bahnhof gehen. Selbstverständlich habe ich den Zug verpasst. Dafür gabs dann im nächsten interessante Informationen – im IC waren alle Toiletten eingefroren bis auf zwei, und die Zugbegleiter waren am schwitzen, ob die letzten zwei es noch bis Hannover schaffen oder auch noch einfrieren. In Hannover nämlich würde dieser IC erstmal in die Halle zum Auftauen gebracht werden und es würde einen Ersatzzug geben – mit funktionierenden Toiletten! Man stelle sich das vor: Ein ganzer Zug mit Leuten, die mal müssen und es gibt keine Möglichkeit – was macht man dann? Anhalten? Im nächsten Bahnhof den Halt verlängern und Pinkelpausen einrichten? Bekanntermaßen sind die Örtlichkeiten an den kleineren Bahnhöfen meist entweder verschlossen oder defekt oder unbenutzbar weil gesundheitsgefährdend. Ich habe auf jeden Fall den Rest der Zugfahrt mit Überlegungen verbracht.

Ein anderes Detail ist mir in den letzten Tagen auch aufgefallen: Unfassbar, wieviel Spucke auf dem Boden landet. Sonst trocknet das ja immer weg, oder es regnet, dann sieht man es sowieso nicht, aber im Moment trocknet da nichts weg – es friert alles fest. Und dann sind sie da, kleine, blasige Häufchen, frostig festgehalten, bis ein gnädiges Tauwetter sie irgendwann wieder verschwinden lässt. Warum machen Menschen das? Und so oft? Sie sind überall, die Spuckehaufen, auf Gehwegen, Straßen, und wenn man erstmal darauf achtet, überwältigen sie einen glatt. Igitt.

Neulich morgens, draußen minus 11 Grad, Sonnenschein. Ein Vogel singt, bricht ab. Singt wieder. Verstummt. Schließlich ärgerliches Gezeter, dann Ruhe. Die Armen. Eigentlich ist es Zeit fürs erste Nest des Jahres, und nun das – der Winter pustet unters Federkleid, dass das Flirten selbst dem hartnäckigsten Vogel vergeht. Ein Hoch auf unsere warmen Wohnungen, jetzt draußen übernachten ist keine gute Option. Das denke ich auch immer, wenn ich die Obdachlosen am Bahnhof sehe, ich hoffe wirklich, sie haben alle mindestens ein Bett für die Nacht und gnädiges Aufsichtspersonal in den Bahnhöfen und Einkaufspassagen.

Morgen nochmal kalt mit Sonnenschein, dann soll es wärmer werden. Es ist fast schade drum.

Geschenkt bekommen: Herr Eichhorn und der erste Schnee. Von Sebastian Meschenmoser

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Das hier ist hohe Kunst, finde ich: Wer mit Buntstift so zeichnen kann, der kann es einfach! Mit zarten Strichen wird hier der Wald im Winter gezeigt, und Herrn Eichhorn treibt die Frage um, wie das wohl ist, wenn es schneit. Wie sieht das aus, was da vom Himmel fällt? Dummerweise halten er und seine Freunde ja immer Winterschlaf, wenn das große Ereignis passiert, aber dieses Jahr wird er sich wachhalten, koste es, was es wolle! Und dabei hält er auch die anderen wach, und wohl oder übel müssen sie zusammen überlegen, was das wohl ist, Schnee.

Starke Figuren, individuell, nie süßlich, immer als das Tier erkennbar, das es ist und trotzdem grundsympathisch, sehr wenig Text, viel Zeichnung – einfach wunderbar, dieses Buch. Auf keinen Fall nur für Kinder – Erwachsene können das genauso schön finden. Ich freue mich auf jeden Fall über dieses hochwillkommene Geschenk eines mutigen Schenkers!

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Heute morgen

Heute morgen um halb acht
– Nase gekraust
weil von Kälte gepiekt –
hüpft eine Schneeflocke
eben auf diese.
Während ich nach oben seh
stirnrunzelnd und prüfend
betrachtend den Himmel
springt sie mir ins Gesicht!
ins finstre.
Spricht kein Wort
liegt einfach da
und ich steh still
und schaue
muß meine Augen verdrehn
um sie zu sehn.
In diesem Moment
kommt ein Kind
sieht mich und lacht.
Gegen meinen Willen
ehrlich! ganz ohne mein Tun
biegen nach oben
meine Mundwinkel sich sacht
(in Richtung der Flocke).
Der Himmel lacht
ich kann es hören
an diesem Morgen
durch graue Wolken hindurch.
Und ich, ich laß die Flocke schmelzen
auf meiner Nase
geh lächelnd meiner Wege
halb acht Uhr morgens
von Kälte umhüllt
mit Sonne gefüllt.

winter

Im Januar könnte man…

den Weihnachtsbaum so lang stehen lassen wie er einem gefällt
Vögel füttern
einen gemütlichen Frauenfilmabend machen – mit Schnulze, Chips und Softdrinks oder Glühwein oder Eierpunsch oder…
ein Gedicht schreiben
Schlittschuhlaufen gehen
ein schönes großes Bonbonglas mit „Glücks- und Freudenmomente“ beschriften – und diese auf bunten Zetteln darin sammeln, Tag für Tag
Fotos sichten und was daraus machen – Fotobuch, Kalender, Karten
abends durch die Straßen flanieren und einen kurzen Blick in fremde beleuchtete Häuser erhaschen
in einen dicken Schmöker eintauchen
Menschen anlächeln – gerade auch sich selbst

januar