Heute ist der Tag der Südfrüchte

Heute könnte der Tag der Südfrüchte werden. Speziell ein Tag der Orangen. Fast als erstes heute morgen habe ich eine Orange geschält und ihr Duft hat die Küche geflutet. Als ich den Joghurt über die Orangenstücke gegeben habe, hat er wohlig geseufzt, ich hab´s gehört. Die zweite Orangenhälfte gab es zum Frühstück und der Tag wurde heller.
Dann habe ich überlegt, dass der Duft mich durch den Tag begleiten könnte. Er würde sich mit dem Schnee vermischen, der überraschenderweise heute Nacht gefallen ist und sich auf der Arbeit in die Kaffeeküche einschleichen. Später dann äße ich den Orangenjoghurt und er würde mir zuflüstern: „Es gibt immer etwas Schönes, du musst nur ein bisschen suchen“, und dann würde ich mit neuem Schwung weiterarbeiten.
Am Nachmittag würde ich an Sommer denken, an Seen und Badetücher und an Vanilleeis mit Orangensauce und mir Mut zusprechen. Es geht voran, doch, das tut es.
Und beim Abendessen mit einer Freundin läge Orangenduft im gut gekühlten Rosé.
Ich denke, heute ist der Tag der Südfrüchte. Der Duft ist schon da, und nach dem Rest muss ich nur ein wenig suchen.

Fräulein Honigohr und das Orange

Fräulein Honigohr und das Orange

Fräulein Honigohr ist unzufrieden mit der Gesamtsituation. Es regiert der unentschlossene Februar, der nicht weiß, was er sein will, Frühling, Winter oder karnevalsbetrunken, und weil ihm aufgrund der aktuellen Situation der Karneval weggebrochen ist, weint er auch noch andauernd große, runde Tropfen oder kalten Schnee. Fräulein Honigohr mag Schnee und auch Regen, beides kann sie nicht erschüttern, aber was zuviel ist, ist zuviel. Es gibt ein Maximalmaß an Grau, das sie ertragen kann, und das wurde definitiv überschritten.
Entschlossen tunkt sie den Pinsel in das Orange und betrachtet zufrieden, wie apfelsinenfarbene Tropfen zusammen mit dem unvermeidlichen Regen in den Farbeimer fallen. Dann streicht sie die erste Laterne orange. Sie ist sich nicht ganz sicher, wie sie es geschafft hat, oben an den Lampenschirm zu kommen, aber wenn Fräulein Honigohr etwas unbedingt will, bekommt sie es meist auch. Als nächstes kommt die Parkbank dran, dann ein schrecklich verwahrlost aussehender Papierkorb, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Fräulein Honigohr findet, er sieht dankbar aus nach der orangenen Überholung. Gerade widmet sie sich mit Hingabe einem grauen Verteilerkasten, als sie von einem Lautsprecher angeschrien wird.
„Was genau machen Sie da? Ja, Sie mit den gepunkteten Gummistiefeln!“
Fräulein Honigohr dreht sich mit dem Farbpinsel in der Hand um. Am Straßenrand steht ein Streifenwagen, aus dem Seitenfenster guckt ein halbjunger Polizist mit Mikrophon in der Hand. Fräulein Honigohr lächelt und schreit zurück: „Ich vertreibe das Grau!“
„Kommen Sie doch bitte mal ans Auto!“ schreit der Lautsprecher.
Fräulein Honigohr seufzt, legt den Pinsel in den Eimer und stapft durch den Regen zum Streifenwagen. Sie beugt sich zum halbjungen Polizisten herunter. Der Regen tropft aus ihrer Kapuze auf seinen Ärmel. „Ich hab heute noch sehr viel zu tun“, sagt sie ungnädig, „was ist denn?“
Der halbjunge Polizist macht eine Handbewegung zu seinem Kollegen am Lenkrad. Der ist grauhaarig und hat einen kleinen Bauchansatz. Er guckt Fräulein Honigohr neugierig an. „Ich wollte nur mal fragen, wo sie dieses unglaubliche Orange her haben. Das strahlt ja wie ein Sonnenuntergang am Meer! Meine Tochter würde es lieben!“
Fräulein Honigohr nickt geschmeichelt. „Es ist toll, nicht? Ist eine Eigenanfertigung. Zufälligerweise habe ich noch einen Eimer… hier, Sie können ihn haben.“ Von irgendwoher aus dem Regen fischt sie einen zweiten Eimer Orange und reicht ihn tropfend über den halbjungen Polizisten hinweg zu dem Grauhaarigen.
„Vielen Dank!“ Er strahlt. „Das ist toll! Was wollen Sie dafür haben?“
Fräulein Honigohr winkt bescheiden ab. „Gar nichts. Viel Freude damit. So, und jetzt muss ich wieder, wie gesagt, ich habe noch viel zu tun heute.“ Sie winkt den beiden Männern kurz zu, die einmal kurz das Blaulicht aufflackern lassen und langsam weiterfahren. Dann widmet sie sich wieder ihrem Orange, das mittlerweile durch zuviel Regen leicht verwässert ist. „Zetermordio“, murmelt sie, „Februar, du bist wirklich zu weichmütig. Reiß dich mal zusammen! Ich tue schon, was ich kann! Du könntest ruhig etwas entgegenkommender sein!“
Der Februar schnieft. Dann reißt er sich zusammen.
Wenn Fräulein Honigohr nämlich etwas wirklich will, sollte man besser zuhören.

Das war ein Beitrag zu den Extra-Etüden, die von Christiane organisiert werden – vielen lieben Dank dafür, Christiane! Die Regel: Fünf Begriffe in maximal 500 Wörtern (die ich dieses Mal bravourös unterschritten habe! Hah!) Wortspender waren Ludwig Zeidler und Ulrike von Blaupause7. Sie lauteten: Zetermordio, weichmütig, backen, Lautsprecher, orange (NICHT die Frucht, die Farbe), erschüttern. Jetzt könnt ihr ja mal gucken, welche ich verwendet habe… 🙂