Ausgelesen: Gefrorener Schrei. Von Tana French.

Eine Ermittlerin, die in ihrem eigenen Revier gemobbt und sabotiert wird, ein Fall, in dem wenig so ist, wie es anfangs scheint, Dublin als Spielort – da kann doch eigentlich nicht viel schiefgehen, wenn man Kriminalromane mag, oder?

Naja. Vielleicht doch. Ich habe eigentlich nichts gegen detailreiche Charakterstudien, in der Regel mag ich sie lieber als die Krimihandlung an sich, aber dieses Buch treibt es auf die Spitze. Im Prinzip geht es seitenlang um das komplizierte Innenleben der Ermittlerin, die sich permanent von allen verfolgt fühlt und sich dementsprechend verhält, von Seite zu Seite paranoider wird und zum Schluss nicht einmal mehr ihrem Partner vertraut. Der Fall dient als Aufhänger, was schade ist, denn er ist sehr schön aufgebaut, hübsch kompliziert verpackt und wie immer hatte ich bis fast zum Schluss keine Ahnung, was da läuft, aber das ist normal, weil ich die schlechteste Ermittlerin aller Zeiten bin und auch bei Fernsehkrimis nie weiß, wer es war. Also zum Schluss dann schon, nach der Aufklärung. 🙂

Hier aber gerät der Fall in den Hintergrund, manchmal fragt man sich zwischendurch, worum ging es da noch gleich? Erschwerend kommt hinzu, dass mir die Ermittlerin höchst unsympathisch war und im Laufe des Buches immer noch unsympathischer wurde. Allerdings ist das Geschmackssache, würde ich vermuten. Trotzdem habe ich mich bis zur Mitte des Buches durchgekämpft, weil es sehr gut geschrieben ist und ich immer gehofft habe, irgendwann würde die Verfolgungsparanoia weniger werden, aber so war es nicht. Ab der Mitte habe ich großzügig geblättert und bin dann am Ende bei der Aufklärung noch einmal hängengeblieben (typisch, ich hatte mal wieder keine Ahnung!). Und dann war ich ein wenig erleichtert, dass ich es durch hatte. Was wirklich schade ist, denn Tana French kann wirklich schreiben, aber dieser Plot war nicht meiner. Vielleicht beim nächsten Buch wieder.

Und übrigens habe ich mal wieder keinerlei Ahnung, was Titel und Cover mit der Geschichte zu tun haben könnten. Nichts, wie ich vermute.

Ausgelesen: Murder Swing. Von Andrew Cartmel.

Das coole Cover ist mir als erstes im Schaufenster des Buchladens aufgefallen – Bond-ähnliche Szenen auf dem Rand einer Schallplatte, das sah vielversprechend aus. Als dann auf der Buchrückseite auch noch etwas von einem „Vinyl-Detektiv“ stand, konnte ich gar nicht so schnell denken wie ich das Buch gekauft hatte. Und ich hatte Recht ( was ja auf jeden Fall immer schon mal gut ist 🙂 )!

Ein sehr cooler Kriminalroman mit einem interessanten Detektiv, einer außergewöhnlichen Handlung und glänzenden Nebenrollen, dazu das Hauptthema: Schallplatten-, Verzeihung, Vinylsammler, so viel habe ich beim Lesen gelernt. Der Ich-Erzähler, dessen Name im gesamten, recht umfangreichen Buch kein einziges Mal genannt wird, ist Spezialist für seltene LPs, die er aufspürt und verkauft. Er kann davon leben, aber keine großen Sprünge machen, aber das scheint ihn nicht groß zu stören, viel wichtiger ist ihm seine Unabhängigkeit, und die kommt ins Rutschen, als eine geheimnisvolle, attraktive Frau ihn engagiert. Er soll eine extrem seltene LP für sie und ihren noch geheimnisvolleren Auftraggeber finden, der bereit ist, dafür sehr, sehr viel Geld zu bezahlen. Als er den Auftrag annimmt, kommen die Dinge ins Rollen, die plötzlichen Todesfälle häufen sich und die Handlung fängt an, sich immer schneller zu drehen – wie eine Platte auf dem Plattenteller…

Der Krimi mit dem besonderen Plot hat mir sehr gut gefallen. Die mir vorher unbekannte Welt der Vinylsammler mit ihren speziellen Abspielgeräten, den Must-Have Boxen und den kauzigen Sammlertypen ist bunt und interessant, der Autor kennt sich sehr gut aus und liebt sein Fach. Das Buchpersonal ist klasse geschrieben, vieles schwingt unter der Oberfläche und wird nicht explizit erklärt, was das Buch sehr reizvoll macht. Die Handlung drängt zwar vorwärts, aber in einem guten Tempo. Es gibt ja manchmal Thriller, da verschlingt man fünf Zeilen auf einmal und vergisst das Atmen. Das ist zwar sehr spannend, aber ich bedaure den Autor manchmal – da macht er sich die Mühe und schreibt alles auf und dann verschlingt der Leser es mit einem Happs – das muss doch frustrierend sein. Murder Swing hat Tempo, aber es gibt auch langsamere Passagen, die genussvoll gelesen werden wollen, dann zieht das Tempo an, dann wird es wieder langsamer – das Buch ist wie sein Thema: Ein schönes Jazzstück mit Tempowechseln. Am besten trinkt man dazu einen Kaffee, aber bitte das gute Zeug: Selbst geröstete, handgemahlene Bohnen, langsam mit der richtigen Temperatur aufgebrüht, schwarz genossen, so wie der Vinyl-Detektiv es mag. Und falls man Katzen hat: Auch die sind Feinschmecker. Ein Lammkotelett sollte es schon sein! 🙂

Von mir gibt´s eine Empfehlung – Krimifans mit dem Faible für besondere Themen sollten dieses Buch unbedingt antesten. Mir hat es große Freude beim Lesen bereitet. Und im übrigen ist mir während des gesamten Buches nicht aufgefallen, dass der Vinyl-Detektiv keinen Namen hat, erst als ich die Rezension schreiben wollte und überlegt habe, wie wohl der Hauptdarsteller heißt – da dämmerte es mir. Und genauso gut ist er geschrieben, der Murder Swing!

 

Ausgelesen: Kommando Abstellgleis. Von Sophie Hénaff.

Lange hat es mir keine solche Freude mehr bereitet, ein Ermittlungsteam kennenzulernen. Niemand in der Truppe um Anne Capestan ist ohne Blessuren oder tragische Elemente, und das macht den Reiz dieses Buches aus: Jeder wird so akzeptiert, wie er ist, mit allen Fehlern und Macken. Diese Fehler und Macken haben das Team überhaupt erst möglich gemacht: Niemand wollte die Trinker, Verlierer, Unangepassten oder Versager im Polizeiapparat, man will sie loswerden, und wie wird man ungeliebte Kollegen los? Man gründet ein Team, das alte, ungelöste Fälle untersuchen soll und geht davon aus, dass diese traurigen Gestalten gar nichts mehr lösen werden, nie wieder. Um ganz sicher zu gehen, stellt man ihnen eine Wohnung ohne Einrichtung, Telefon und PC zur Verfügung, die viel zu klein wäre, wenn wirklich alle vierzig Polizisten dieser Einheit zum Dienst auftauchen würden. Anne Capestan, die vom Dienst suspendiert wurde, weil sie unerlaubt auf jemanden geschossen hat und nun zur Leiterin dieser Geistereinheit wegbefördert wurde, hat anfangs Sorge, ob überhaupt jemand auftauchen wird – und nichts ist ihr so zuwider wie Untätigkeit. Aber dann, nach und nach, tauchen ein paar verlorene Seelen auf, Merlot, der Trinker, Torrez, der Unglücksbringer, Lebreton, der schwule, traurige Witwer, Eva, die steinreiche, aber einsame Schriftstellerin.

Sophie Hénaff lässt sich Zeit, sie führt behutsam in die Abgründe und Gründe der gescheiterten Polizisten ein, lässt sie als Team ganz langsam zusammenwachsen und gerade die widrigen Umstände, die das Team eigentlich vom Arbeiten abhalten sollten, beflügeln sie zur Zusammenarbeit. Dabei gibt es absurde Situationen, bei denen man nicht ganz sicher weiß, ob man nun lachen darf oder lieber nicht, aber wie man es auch damit hält, sie lockern das Buch ganz ungemein auf. Nachdem das Team sich einigermaßen gefunden hat, nimmt auch der Kriminalfall deutlich an Fahrt auf, es wird zum Schluß hin richtig spannend.

Geschrieben ist es in typisch französischer Art, die auch durch die Übersetzung hindurch scheint. Lockere, trockene Sätze, die eine ganz eigene Sprachmelodie haben, manchmal distanziert, manchmal sehr nah dran am jeweiligen Protagonisten. Die Abwechslung zwischen beidem, Distanz und Nähe, reizt zum Weiterlesen, denn man möchte mehr erfahren über die Hauptpersonen, man wünscht ihnen Besserung und die Wendung zum Guten.

Mir hat das Buch zu meiner eigenen Überraschung sehr gefallen, anfangs war ich nämlich etwas skeptisch, aber dann entwickelte es sich zu einem meiner Lieblingskrimis des Jahres 2018. Natürlich ist es schon Anfang 2017 erschienen, ich bin wie immer zu spät, aber wen juckt´s! Das Buch ist einfach gut, da kann man auch später noch schwärmen 🙂 .

Ausgelesen: Commissaire Le Floch & das Geheimnis der Weißmäntel. Von Jean-François Parot.

Oh, ich liebe richtig gut gemachte historische Kriminalromane, und dieser hier ist wirklich richtig, richtig gut gemacht. Der 19jährige Nicolas Le Floch wird von seinem Patenonkel aus der Provinz nach Paris geschickt, um dort Karriere bei der Polizei zu machen. Er wird vom Polizeipräfekten, einem Vertrauten König Ludwigs XV, privat bei Polizeikommissar Lardin untergebracht und mit einem anscheinend leichten Fall beauftragt, um sich mit der Polizeiarbeit vertraut zu machen und getestet zu werden. Dann stirbt sein Vormund, er muss in die Bretagne zurück, um dessen Beerdigung beizuwohnen, entzweit sich bei dieser Gelegenheit mit seinem Patenonkel, weil der die Liebe zwischen seiner Tochter und Nicolas ablehnt und kehrt danach geknickt wieder nach Paris zurück. Dort nehmen die Ereignisse mächtig Fahrt auf, aus dem „leichten“ Fall wird eine Staatsaffaire und Nicolas muss zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist.

Der Kriminalroman ist dieses Mal wirklich wert, so bezeichnet zu werden – Krimi reicht hier nicht aus. Das Paris des 18. Jahrhunderts wird so eindrücklich beschrieben, dass ich das Gefühl hatte, dabei zu sein. Wenn Le Floch durch die Straßen eilt, Verliese und Bordelle durchsucht, kurz etwas isst und seinen Mantel enger um sich zieht, weil es eisig kalt ist, bekommt man selber eine Gänsehaut und spürt die gelaufenen Kilometer unter den Fußsohlen. Paris atmet, lebt, liebt und stinkt, und man ist dabei und sieht es mit jeder gelesenen Zeile deutlicher vor Augen. Hier ist nichts romantisch verklärt oder mit Weichzeichner versehen, alles ist höchst realistisch und am Ende ist man ein bisschen traurig, weil das Buch vorbei ist, aber doch sehr froh, dass man heute lebt und nicht vor zweihundertfünfzig Jahren, als man sehr viel Glück haben musste, in die richtige Gesellschaftsschicht hineingeboren zu werden. Wenn es nämlich die falsche war, hatte man voraussichtlich kein allzu langes Leben. Und auch kein allzu schönes. Diese Darstellung des vergangenen Lebens ist für mich der größte Reiz des Buches, neben der schön altertümlichen Sprache, in die man sich erst ein paar Seiten lang einlesen muss. Dann aber passt sie hervorragend zur Geschichte. Der Kriminalfall dominiert das Buch ebenfalls, die privaten Verwicklungen Le Flochs machen nur einen sehr kleinen Teil der Geschichte aus, aber beides geht interessanterweise völlig in der fast rauschhaften Darstellung der französischen Hauptstadt im Jahr 1761 auf. Der Kriminalfall macht es erst möglich, so tief in die Häuser, Straßen und Abgründe der Stadt einzutauchen, die oberen Gesellschaftsschichten genauso zu beleuchten wie die unteren – ein wunderbarer Vorwand quasi, um eine bildgewaltige, sinnesfreudige Abhandlung über eine vergangene Zeit zu schreiben. Und wenn es so ist – gerne! Mehr davon!

Ein klein wenig leid tat es mir aber doch um die kleine Distanz, die durch die Schreibweise zu den Figuren entstand. Ein klein wenig mehr Emotion, etwas mehr Betroffenheit bei der Entlarvung Verdächtiger, und schon wäre ich näher dran gewesen. Der Fall selber ist ein solider Plot ohne große überraschende Wendungen, er erinnert an reale Polizeiarbeit, mit schriftstellerischen Freiheiten natürlich. Es kann aber auch einfach die männliche Sicht des Autors auf die Dinge sein, und eigentlich jammere ich hier auf sehr hohem Niveau. Lieber feiere ich eine wirklich gelungene, neue Kriminalromanreihe, die in Frankreich längst Kult-Status hat und es hoffentlich in Deutschland schafft, komplett übersetzt zu werden.

Vielen Dank an Karo, aufgrund deren Rezension ich das Buch gekauft (und genossen) habe!