Im Reich der Nieselkönigin

über den Gärten hängt grau die Nieselkönigin
drückt Gemüter und Blätter an ihr Herz
streicht feuchtfingrig an Dachziegeln und Balkonen entlang
singt sanft so sanft
unerbittlich weich
durchdringt die Welt bis auf den Grund
erforscht die dunklen Wünsche der Dinge
löst auf nimmt ein formt um
zertropft uns unnachgiebig zart
wenn sie die Welt verlässt
schleift ihre Schleppe noch lang übers Land
flüstert vom Reich der grauen Nieselkönigin

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht.
Auch Wortgeflumselkritzelkram
Mutigerleben
Werner Kastens
Nachtwandlerin
Gedankenweberei
Wortverdreher
Dein Poet
Geschichten mit Gott
Suses Buchtraum
Wortmann
Petra schreibt
Traumspruch
und Lyrik trifft Poesie
sind mit von der Partie.
Viel Freude bei allen Besuchen!

Feliz Navidad

zwischen den Regentropfen
Feliz Navidad
Weihnachtsrealitäten
nasses Einheitsgrau
im norddeutschen Dezember
trotzdem:
leise Ahnungen
von Silber und Engelshaar
zwischen den Eisregenschauern

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht.
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Viel Freude bei allen Besuchen!

Da bin ich!

„Da bin ich!“ piepst das dünne, graue Haar, nachdem es gewachsen ist und sieht sich neugierig um.
„Ich weiß“, brummst du und schreibst weiter.
„Das ist ja so aufregend!“ erklärt das graue Haar und kräuselt sich leicht vor lauter Vorfreude.
„Was ist das?“ fragst du abwesend und setzt ein paar wichtige Satzzeichen.
„Aufregend! Hier zu sein! Endlich! Ich hab so lange darauf gewartet!“ Das graue Haar reckt sich zur Sonne. „Und es ist so hell hier!“
„Du bist hell, meinst du wohl, was?“ fragst du säuerlich.
„Ja klar! Nach all deinen dunklen und braunen Jahren wird es doch wohl Zeit für etwas mehr Helligkeit, oder?“ Das graue Haar gluckst. „Und was machen wir nun?“
„Ich korrigiere den Text“, antwortest du, „was du machst, weiß ich nicht.“
„Du bist aber sehr schlecht gelaunt“, erklärt das graue Haar, „liegt das an mir?“ Es klingt beleidigt.
Du seufzt. „Naja. Es ist nicht so, dass ich auf dich gewartet hätte, weißt du. Du bist ein Zeichen für Veränderung, Umbruch, neue Wege. Du beendest etwas. Das macht dich nicht gerade beliebt.“
Das graue Haar kräuselt sich. „Das ist dein Problem. Ich hab solange darauf gewartet, ans Licht zu kommen, ich will Veränderung! Ich will Aufbruch! Ich will etwas erleben! Du bist vielleicht schon lange hier, aber ich bin neu! Also, was machen wir nun?“
Du zupfst an dem Haar herum.
„He! Lass das! Du willst mich doch nicht etwa ausreißen? Tu das nicht!“ Das graue Haar klingt panisch.
Du lässt die Hand sinken. „Würde ich doch nie tun.“ Du klingst nicht ganz überzeugend. „Na gut. Dann lass uns fürs erste einfach leben, ok?“
Das graue Haar entspannt sich. „Ja! Das klingt gut!“ Und nach einer kleinen Pause fragt es: „Wie geht das?“
Du lächelst. Darin hast du Erfahrung.


Dezembergrau

Dezembergrau

nach Tagen des Sturms
sanfte Regenruhe
kühles Dezembergrau
verlangt nicht mehr
als Anwesenheit
alte Sätze
wie Haltegriffe in der Straßenbahn
warm leuchtend
im Grau

Der Dienstag dichtet!  
Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch WortgeflumselkritzelkramMutigerlebenWerner KastensFindevogel, die Nachtwandlerin, Lindasxstories, Myriade, Gedankenweberei, 
MynaKaltschnee, Wortverdreher und Lebensbetrunken, der BerlinAutor, Vienna BliaBlaBlub und Heidimarias kleine Welt sind mit von der Partie.
Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

Als die Phantasie die Weltherrschaft übernahm

Als die Phantasie für eine Stunde die Weltherrschaft übernahm, ließ sie als erstes die Farbe mausgrau verschwinden. Sie hatte immer schon eine natürliche Abneigung gegen Grau gehabt, was wohl in der Natur der Dinge liegt, aber bei Mausgrau hörte der Spaß bei ihr auf. Überall auf der Welt färbten Anzüge, Hausmäuse und U-Bahn-Unterführungen sich pink, sonnengelb oder himmelblau, was in einigen Vorstandssitzungen für erhebliche Irritationen sorgte und viele Katzen um ihr Mittagessen brachte. Die farbliche Neugestaltung der U-Bahn-Unterführungen blieb weitestgehend unbemerkt, da seit Jahrzehnten dort niemand mehr auf Wände oder Fußböden achtete.
Als nächstes beschloss die Phantasie, dass zukünftig an allen Gebäuden Außenrutschen vorhanden sein mussten, die alternativ zu den Treppenhäusern genutzt werden konnten. Sie schnippste mit dem Finger und schon wanden sich Rutschen in allen Farben und Materialien aus Fluren und Badezimmern hinunter auf Bürgersteige und Parkplätze. Überraschte Aufschreie und Juchzer waren zu hören, und wenige Minuten später wurden die ersten Rutschen von Kindern in Besitz genommen, die die panischen Rufe ihrer Mütter konsequent ignorierten. Als der erste Handwerker seine Werkzeugtasche vorschickte und dann selbst hinterherrutschte, nickte die Phantasie zufrieden. Das lief hervorragend! So konnte es weitergehen!
Mit einem Händeklatschen schickte sie Milliarden kleiner, goldener Tagträume auf die Reise, die mit einem leisen „Plopp!“ zerplatzten, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten. Es regnete Sterne, Hängematten und rote Ferraris, glitzernde Vampire und Erdbeeren, Fußmassagen und marinierte Rippchen, und die Phantasie kicherte und pustete noch ein klein wenig mehr Farbe und Duft in die Tagträume. Und weil ihr gerade danach war, schickte sie ein paar Herden grüner Drachen und Schokoschmetterlinge hinterher.
Überall auf der Welt brach der Verkehr zusammen, die Arbeit in den Büros wurde unterbrochen und die Stahlproduktion kam vorübergehend zum Erliegen. Es wurde still in den Städten. Die Menschen stützten ihre Köpfe in die Hände, blickten aus den Fenstern und lächelten. Die Kinder jagten den Schokoschmetterlingen hinterher und überraschend viele Erwachsene standen Schlange an den Rutschen. Die Phantasie verschränkte die Arme und schaute zufrieden auf ihr Werk. So musste es sein! Und sie hatte ja gerade erst angefangen! Es waren noch sieben Minuten von ihrer Stunde übrig, und sie hatte nicht vor, der Vernunft auch nur eine davon zu überlassen.

Ausgelesen: Grau. Von Jasper Fforde.

Nachdem ich an den beiden vorherigen Büchern die unperfekte Welt bemängelt habe, ist sie in diesem Buch hier ab-so-lut perfekt. Ich habe lange keine so detailversessene Dystopie mehr gelesen, es ist wirklich alles geregelt, warum, wieso, weshalb die Menschen so handeln und nicht anders, warum Farben in dieser Welt wirklich alles bedeuten und wo sie sich hin entwickelt – sagenhaft.

In dieser Welt lange nach uns werden Menschen in Farbkategorien eingeteilt, sie können auch nur jeweils eine Farbe sehen, und die eine dann in unterschiedlicher Stärke. Je mehr Farbe du siehst, desto höher steigst du im gesellschaftlichen Rang, aber wehe, du verliebst dich in jemanden, der deine Komplementärfarbe sieht! Dann hast du ein Problem.

Alle Entwicklungen in diesem Buch sind möglich, aber so weit von unserer Welt entfernt, dass ich manchmal Schwierigkeiten hatte, überhaupt irgendetwas zu verstehen. Man benötigt eine Menge Leseausdauer, um einigermaßen zu verstehen, was gerade passiert, und weil es so fremd ist, habe ich dazu geneigt, ab und an vorzublättern – furchtbar, ich weiß. Es lohnt sich aber, durchzuhalten, das Finale ist wirklich gut.

Ein großes Lob an den Autor – es ist alles durchdacht, es gibt keine Logikfehler, zumindest habe ich keine entdeckt. Manchmal hätte ich der Hauptfigur gerne in den Hintern getreten, aber he, wir sind, was wir sind, und sich zu verändern, dauert auch im wirklichen Leben manchmal unerträglich lange, selbst dann, wenn man sich selber verändern will. Ich schätze mal, Herr Fforde hat nach diesem Buch einige graue Haare mehr, passend zum Titel…