Mai-Fürchtezeit

Jedes Jahr Mitte April beginnt meine Mai-Fürchtezeit. Jetzt sagen Sie sich bestimmt, nanu, der Mai ist der schönste aller Monate, was soll es da zu fürchten geben? Nun ja. Ich bin ein Maikind, und ich fürchte mich vor meinem Geburtstag. So, jetzt ist es raus. Eigentlich liebe ich Geburtstage und trotzdem: So sicher wie das Amen in der Kirche habe ich bereits Anfang April erste düstere Vorahnungen. Dieses Jahr fällt mein Tag auf einen Werktag? Niemand wird kommen. Alle werden sehr beschäftigt sein. Mein Tag fällt auf das Wochenende? Alle werden woanders eingeladen sein. Niemand wird kommen. Es wird regnen. Und kalt sein. Heroisch schiebe ich diese Gedanken beiseite und freue mich über Flieder und Bienengesumm, aber unter all dem frischen Grün lauert unablässig die Frage: Was wird an meinem Geburtstag passieren?
Je näher der Tag kommt, desto tiefer versinke ich in trüben Gedanken. Vielleicht sollte ich ihn einfach ausfallen lassen. Wenn ich tief einatme und erst einen Tag später aus, ob er dann vorbei ist? Irgendwann sitze ich als Häufchen Trübsal da und frage den Chef, ob er den Geburtstagskelch nicht wenigstens dieses eine Mal an mir vorüberziehen lassen könnte?
Der Chef verdreht dann die Augen, stellt seine Kaffeetasse ab und schaltet die anderen Gebetsanforderungen auf stumm. Du wieder, sagt er, haben wir das nicht letztes Jahr schon besprochen? Und vorletztes? Und das Jahr davor auch?
Ja, schon, jammere ich, aber dieses Jahr, da ist es ganz anders, viel, viel schlimmer!
Ach. Noch schlimmer als in den Jahren davor?
Ja!
Tiefes Durchatmen. Nun. Du machst es wie jedes Jahr, du machst einen Plan. Überleg dir was. Und dann setz ihn um. Lade Freunde ein. Nimm dir frei. Mach einen Ausflug. Oder feiere auf der Arbeit, das hast du auch schon gemacht, du erinnerst dich?
Ach, die Arbeit… da ist doch gar keiner in diesen Zeiten… und zuhause? Wen kann ich schon einladen… die haben bestimmt alle schon was anderes vor…
Wenn du sie nicht fragst, wirst du es nie erfahren. Los jetzt, jammere nicht, schreib ein paar mails. Oder whatsapps oder wie ihr das gerade nennt… (und halblaut zu sich selbst: Und davon hab ich aktuell acht Milliarden, meine Probleme solltest du mal haben…)
Der Chef wendet sich ab, trinkt einen Schluck Kaffee (extra schwarz, ohne Zucker) und schaltet die anderen Gebetsanforderungen wieder auf laut.
Und ich? Ich bin immer noch jammerig. Andererseits, ein bisschen Planung kann ja nicht schaden. Vielleicht fange ich einfach mal mit einem Freund an und dann gucke ich, ob er zusagt, und wenn er zusagt, könnte ich ja noch einen zweiten einladen, und wenn der auch zusagt, ist alles schon gar nicht mehr so schlimm, und plötzlich ist der Tag viel heller.
Am Ende waren fast alle meine Geburtstage schön. Manchmal auch seltsam, aber nie so schrecklich, wie ich es jedes Jahr spätestens Mitte April befürchte. Beim nächsten Jahr allerdings bin ich mir da gar nicht so sicher, wer weiß, wie das werden wird…
Der Chef seufzt. Ich kann es bis hierher hören.

Geburtstagsweh

(Für den Großen)

Geburtstagsweh

Autorennen im Flur
Schokoküsse mit Gummibärchen
Treppenrennen und Feentanz
die Badewanne voller Golddublonen
das Haus bebt
dieser Tag gehört dir
Schlag halb sieben: Der Zauber verglüht
Abendessen-Abholzeit
die wilde Schar zerstreut, verweht
der Tag verliert den Glanz
du lehnst dich an mich
wir lauschen
fernes Lachen weht durchs Küchenfenster
vertrau mir
morgen spielst du wieder
anderswo

Am Sonntag war ich im Zoo

Am Sonntag war ich im Zoo.
Meine Schwester hatte Geburtstag und keinerlei Lust, für jede Menge Leute zu putzen, aufzuräumen und Kuchen zu backen (obwohl sie wirklich leckeren Kuchen kann – Schoko, sehr fluffig, ein Träumchen auf dem Teller quasi). Und da hat sie Recht, finde ich – ich meine, mal ehrlich, Geburtstag ist doch das, was man als Kind heiß und innig herbeigesehnt hat, der Tag konnte gar nicht schnell genug kommen, und wenn er dann da war, der größte Tag aller nur möglichen Tage, dann fing er schon vor dem Aufstehen mit allen möglichen Verheißungen an: Man hat Geburtstag! ICH habe Geburtstag! Heute bin ich die wichtigste Person weit und breit! Und bekomme Kerzen! Und ein Ständchen! Und natürlich Geschenke! Und so war das dann auch, man bekam tatsächlich Kerzen und ein Ständchen und Geschenke, außerdem noch Besuch und noch mehr Geschenke, man musste fast nichts selber tun an diesem Tag, die Luftschlangen flogen einem geradezu in den Mund – nein, das ist aus einem anderen Kindertraum.

Aber trotzdem: Der Tag wurde einem bereitet. Und heute? Tja, da heißt es das Haus putzen und aufräumen und backen und kochen und Streit schlichten und den Abwasch selber machen. Obwohl man doch Geburtstag hat. Irgendwas ist da doch gründlich schief gelaufen, oder? Irgendwie sollte das doch eigentlich anders gehen – sollte man den Kuchen nicht geschenkt bekommen? Und eingeladen werden?

Nun ja, wir werden das heute nicht lösen, auf jeden Fall hatte meine Schwester keinerlei Lust auf Abwasch und ist mit ihrer Familie und mir in den Zoo gefahren. Das Wetter war perfekt, kalt und sonnig und gerade richtig, um in dicker Winterjacke und Mütze zügig von einem Schauplatz zum anderen zu galoppieren, um dann dort in der Sonne stehenzubleiben, sich aufs Gehegegeländer zu stützen und die Bewohner dort anzustarren, die im Prinzip genau dasselbe tun, nur von der anderen Seite her. Wenn man das mit Kindern macht, ist es nochmal schöner als ohne, denn Kinder haben so eine Art, kompromisslos zu gucken, nur zu schauen, zu blicken, sie saugen die Zoobewohner geradezu in sich auf, dass man fast Angst hat, wenn sie jetzt noch ein kleines bißchen mehr starren, ist das Tier weggeguckt.

Das ist dann aber doch nie passiert, und so sind wir durch den Zoo vagabundiert, mehr oder minder ohne Pausen, denn wer braucht schon Pausen bei Erdmännchen, Affen, Nashörnern und Elefanten? Niemand, außer einigen fußlahmen Erwachsenen vielleicht.

Einmal gab es Käsebrötchen und Holundersekt für alle aus richtigen Gläsern, denn am Geburtstag Plastikbecher, das geht einfach nicht, da waren wir uns auch alle sofort einig. Und dann sind wir zu den Eisbären, die eigentlich immer nur schlafend in der Ecke liegen, aber an diesem Tag, am Geburtstagstag, da gab es eine neue Bewohnerin in Yukon Bay, und die hatte bei dem schönen Eisbärenwetter auch keine Lust, Pausen zu machen. Sie trabte über das Gelände, witterte all die Fischbrötchen und Menschen in der Luft, rannte ins Wasser, tauchte und schwamm, als ob sie für einen Marathonlauf trainieren würde. Und es ist ja so: Ein schlafender Eisbär weit entfernt ist eher weniger aufregend. Aber ein schwimmender Eisbär, der mit einem mächtigen Schwung und tausenden Luftbläschen vor einem an der Scheibe entlangtaucht, elegant und riesengroß, rasend schnell und völlig mühelos direkt vor der eigenen Nase vorbeifegt – das ist nicht langweilig, oh nein. Da bekommen auch Erwachsene große Augen und vergessen vorübergehend das Atmen und plötzlich ist es völlig legitim, ganz uncool im Unterwasserbereich herumzurennen, mit den Kindern an der Hand, um noch einmal dieses fremde Wesen so nah an sich vorbeirauschen zu fühlen und eine Ahnung davon zu bekommen, was Wildnis eigentlich ist. Und wenn dann der Neffe mit glänzenden Augen nickt, wenn man ihn fragt, ob das toll gewesen sei, kann man gar nicht anders, als das auch toll zu finden und für einen Moment ist man auf gleicher Höhe und hat wieder dieses Geburtstagsgefühl, obwohl man selber ja gar keinen Geburtstag hat.

Für mich steht seitdem auf jeden Fall fest: Geburtstag und Zoo, das passt ganz wunderbar zusammen, im Grunde gehört das sogar zusammen, und man soll ja nicht trennen, was zusammengehört, oder?
Im Mai habe ich Geburtstag. Wir werden sehen.