ich segle

ich segle in großer Höhe
über allem
nah an der Sonne
sie wärmt meine Schwingen
tief unten
glänzt das Land
grünblaubraun
ein strahlender Teppich
aus Erde
am Horizont
schillert das Meer
voll mit Schiffen und Fischen
fast habe ich vergessen
wer ich bin
ein Mensch
mit Wurzelfüßen
Zeit zu landen
zu wachsen
Tiefe zu lernen
das Land zu verankern
mit mir
mich auszustrecken
nach oben

Der Dienstag dichtet! 🙂  Katha kritzelt hat diese Aktion ins Leben gerufen: Jeden Dienstag wird ein Gedicht aus eigener Herstellung veröffentlicht. Auch WortgeflumselkritzelkramMutigerlebenWerner KastensFindevogel, die WortverzauberteLyrikfederDer BerlinAutorNachtwandlerinLindas x Stories, Myriade, Gedankenweberei, MynaKaltschneeWortverdreher und
Lebensbetrunken sind mit von der Partie. Schaut doch mal bei ihnen vorbei, der Dienstag fängt besser an mit ein bisschen Wortzauberei!

was an mir vorbeiflog

was an mir vorbeiflog

  • faule Windräder mit träge rudernden Armen
  • verfrühte Herbstblätter
  • Nudelsalat
  • duftige Teewölkchen
  • klimatisierte Autokäfige
  • eine Menge Urlaubsmusik, immer links und rechts an den Ohren vorbei
  • lose Gedankenfäden, ungesponnen
  • Aufbruchswohligkeit
  • astronautische Neffenpläne zur Eroberung des Weltalls
  • mütterliche Gefühle für den nun verwaisten Balkon

Fräulein Honigohr schaukelt

Fräulein Honigohr betritt den Spielplatz und geht zielstrebig auf die Nestschaukel zu. Sie lässt sich nieder und holt ihr Buch heraus, während die Schaukel sanft hin und her schwingt.
„He! Die ist nicht für alte Leute!“
Fräulein Honigohr blickt auf. Zwei Jungs hängen lässig auf den Brettschaukeln neben ihr.
„So?“ sagt Fräulein Honigohr. „Wer behauptet das?“
„Ich!“ Der kleinere grinst auf eine Art, die Fräulein Honigohr überhaupt nicht gefällt. „Sie sind viel zu alt. Gehen Sie lieber zu ihrem Häkelclub!“
Fräulein Honigohr spitzt den Mund. „Du hast interessante Ansichten. Und für diesen Platz bist du auch zu alt.“
„Ist doch egal!“ ruft der größere. „Das ist unser Platz! Verziehen Sie sich!“
Fräulein Honigohr legt einen Finger zwischen die Buchseiten. „Wenn ihr unbedingt einen Spielplatz besitzen wollt, bitte. Aber in dieser Schaukel, da sitze ich. Ihr könnt ja schließlich nicht alle gleichzeitig belegen.“
„Alte! Mach dich vom Acker, aber ein bisschen plötzlich!“ Der größere steht auf und kneift die Augen zusammen, während der kleinere überlegen grinst.
Fräulein Honigohr schüttelt den Kopf. „Wisst ihr was? Ich lese gerade ein Buch über Vogelflug. Und ich brauche Übung. Ihr solltet euch festhalten.“ Sie schließt die Augen. Die Seile der Brettschaukeln lösen sich aus der Verankerung und werden zu Vogelschwingen, die Schaukelbretter schieben sich den Jungs unter die Oberschenkel. Mit kräftigem Schlag heben die Vogelschwingen die Jungs in die Luft und tragen sie davon. Fräulein Honigohr hört sie ängstlich aufschreien, aber sie blickt nicht auf und liest weiter.
Eine Viertelstunde später rauscht es über ihr. Ohne hinzusehen nickt sie. Einen Blick später sitzen zwei Jungs mit verwehten Haaren atemlos im Sandkasten.
„So. Ich bin fertig. Ihr könnt euren Spielplatz zurück haben. Macht was draus.“ Fräulein Honigohr erhebt sich und verstaut das Buch. Es ist Zeit für ihren Vormittagstee. Pfeifend macht sie sich auf den Weg.

Das war ein Beitrag zu den Etüden, organisiert von Christiane (vielen Dank!). Unterzubringen im Text waren Vogelflug, ängstlich und schwingen, die Wortspende kam von Ulli Gau aus ihrem Café Weltenall. Und wieder habe ich hart gekämpft, um die maximal 300 Wörter einzuhalten!