Die Farbenspielerin

Die Farbenspielerin tanzt durch unsere Welt. Morgens kurz nach dem Aufstehen, wenn der erste Kaffee getrunken ist, malt sie alles bunt. Was bisher grau war vor meinen Augen und in meinem Herzen wird vielfarbig. Sie spart nicht mit Farbe und kleckst alles voll mit blau, grün, rot und gelb.
Sie selbst ist durchsichtig, etwas schillernd vielleicht wie ein Libellenflügel. Sie flirrt an mir vorbei und ein Regenbogen ist ihre Schleppe. Sie ist die Heilige aller, die Vielfalt mögen.
Es wurde immer wieder versucht, die Farbenspielerin einzusperren. „DAS MUSS BLAU SEIN!“ oder „DAS MUSS GRAU SEIN!“ oder „DAS MUSS GELB SEIN.“ heißt es dann. Sie aber entwischt immer wieder und was blau sein muss ist violett oder was gelb sein muss wird orange. Einfach nur weil sie sich einmischt. Mischen ist ihre große Leidenschaft. Sie kann stundenlang vor einer Blüte sitzen und Farben mischen bis sie das richtige sonnengelb oder leichtrosaaberdochnichtsorichtigrosaweilrosaeigentlichdoofist hinbekommt.
Die Farbenspielerin ist in unserer Welt unterwegs, aber eigentlich gehört sie in den Himmel. Sie hüpfte irgendwann zu uns und das kam so:

Als Gott seinen Bogen damals in den Himmel stellte, war dieser schwarz-weiß. Er half ihm richtig und falsch, heilig und unheilig, schuldig und unschuldig zu unterscheiden.
In der Nacht nach diesem großen Ereignis gab es eine Engelversammlung. Die Engel debattierten, was nun schwarz oder weiß, richtig oder falsch, heilig oder unheilig, schuldig oder unschuldig sei. Die Farbenspielerin langweilte sich schrecklich. Also schlich sie sich aus dem Saal. Draußen hing drohend der schwarz-weiß Bogen Gottes am Himmel. Ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Sie beschloss diesem langweiligen Tag eine besondere Farbnote zu geben und dann zu verschwinden.

Einer der Engel, dem bei der Debatte etwas schlecht geworden war, ich glaube es war der Engel der Gnade, verließ den Saal, weil er eine Pause brauchte. Nach ca. 5 ewigen Minuten kam er wieder rein und sagte: „Äh, Leute…“
Die anderen hörten ihn nicht und er wurde etwas lauter: „Leute, das müßt ihr euch ansehen.“
Die Engelschar strömte aus dem Saal. Am Himmel leuchtete Gottes Bogen in allen Farben.
Die Farbenspielerin war indes aus dem Himmel verschwunden. Sie machte lieber die Welt bunt. Der Himmel war ihr einfach zu langweilig und farblos.
Als Gott aber den Bogen sah, lachte sie nur, zog ihr bestes buntes Kleid an und fühlte sich seltsam erlöst.

Ein Text von Dagmar Wegener – vielen Dank!

Sommerregen

Sommerregen fällt und küßt auf seinem Weg Blätter, Blüten, Halme, Erde.
Sanft, so sanft streichelt er die durstigen Stellen und gibt.
Selbst der Asphalt verliert sein Grau und bekommt ein tiefschwarzes, glänzendes Kleid.

Sommerregen fällt und küßt auf seinem Weg mein Haar, meine Wangen, meine Schultern.
Mein Gesicht streckt sich ihm entgegen.
Ich ziehe Gummistiefel an oder aus, zum Pfützenspringen.
Selbst der traurigste Moment lächelt ein wenig.

Sommerregen fällt und küßt auf seinem Weg die Zerbrochenen, die Gefallenen und die Schuldigen.
Er küßt sie alle, ohne Unterschied.
Seine Geste mütterlich, sein Arm auf allen Schultern und ein warmer Tropfen fällt ins Herz.
Selbst die trockenste Scholle wird weich.

Hoffnung ist wie Sommerregen.

Ein Beitrag von: © Dagmar Wegener (September 2017).

Der kleine Elefant

Der kleine Elefant quetscht sich durch die viel zu schmale Tür des Porzellanladens. „Was sucht ein Elefant im Porzellanladen?“ fragt der Porzellanhändler und unterbricht das Abstauben eines Porzellanlammes und seiner Schäferin.
Mitten im Raum bleibt der kleine Elefant stehen, will sich umsehen, dreht den Kopf und stößt eine Tasse von der Untertasse. Das Scheppern lässt sie erstarren. So steht sie da. Bewegungslos mit weit aufgerissenen Augen. Nichts rührt sich mehr an ihr. Der Porzellanhändler zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder seiner Arbeit zu.
Die kleine Elefantenkuh kann spüren, wie die Zeit vergeht. Der Raum wird kleiner und kleiner und sie fragt sich, ob der Laden schrumpft.
Manchmal kommen Kundinnen herein, selten kaufen sie etwas. Eines Tages stellt eine ältere Dame einen Teller auf sie, weil sie sich nicht mehr erinnert, wo sie ihn hergenommen hat. Nachdem das erste Stück auf ihr abgestellt ist, gesellen sich andere Porzellandinge dazu. Eine Vase mit Blumendekor, ein küssendes Paar, weitere Teller, Tassen und vieles mehr. Sogar ein kleiner Porzellanelefant findet seinen Platz auf ihren mittlerweile mächtigen Schultern.

Wenn die Sonne ihre Strahlen durch die Schaufenster schickt und mit dem tanzenden Staub in der Luft spielt, spürt sie wie die Stille sich in ihr ausbreitet. Sie vermisst die Weite und Wärme. Sie weiß, dass dieses Gefühl für immer bleibt. Dieses Vermissen ist so groß, dass sie dann fast in Bewegung gerät und ausbrechen will. Beim kleinsten Klirren aber erstarrt sie wieder und bleibt ruhig.

Die Türglocke läutet. Jemand betritt den Raum. Sie spürt eine unglaubliche Präsenz und hat mehr als jemals zuvor den Wunsch sich zu bewegen. Sie verdreht die Augen, um zu sehen, wer da kommt. Sehen kann sie nichts. Vielleicht diesmal? Aufbruch? Die Enge verlassen? Loslassen? Das Klirren ertragen und einfach losgehen? Diesmal der Energie einfach Raum geben?
Nah an ihrem Ohr flüstert eine goldene Stimme: „Was sucht ein Elefant im Porzellanladen?“ Die Stimme klingt nach Aufbruch und Mut. In ihr macht sich ein neues Gefühl breit. Sie fragt sich, warum sie so lange gewartet hat? Sie fragt sich, ob eigentlich alle Elefanten so leben? Und ob es nicht noch viel mehr geben sollte?

„Was sucht ein Elefant im Porzellanladen?“ fragt die Stimme noch einmal. Diesmal lauter und an den Porzellanverkäufer gerichtet. „Der Elefant war schon immer hier. Zumindest fühlt es sich so an. Er sieht ja auch schön aus und war immer brav. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ist alles heil geblieben.“
Ein goldener Schimmer erscheint in ihren Augenwinkeln. Eine goldene Frau tritt vor sie und sie kann sie sehen. Sanft wärmt das goldene Licht ihr Gesicht und sie fühlt, wie ihre Muskeln zucken. Sie fühlt wie alles in ihr nach Freiheit schreit, nach Weite und Wärme.
Die goldene Frau legt ihre Arme um ihren Kopf.

Im Porzellanladen breitet sich tiefe Stille aus. Alles Porzellan, das auf ihr gelagert hatte, scheint einen Moment lang in der Luft zu schweben. Dann geht es zu Boden und in tausend Scherben. Nur der kleine Porzellanelefant überlebt. Der Porzellanhändler hebt ihn auf und hält ihn fassungslos in der Hand.

Sie stampft mit dem Fuß auf. Staub wirbelt. Die Abendsonne flirrt rot am Himmel und taucht die Savanne in ein mächtiges Orangerot. Sie spürt die Herde um sich und alle begrüßen sie mit einer Berührung. Sie ist nicht allein. Sie schaut sich um. Ihr Kopf schwingt von einer Seite zur anderen. Nichts passiert. Kein Klirren. Kein Scheppern. Hier ist Weite und die ganze Welt passt ihr wie ein bequemes wunderschönes Kleid.
Tiefe Erinnerungen tauchen in ihr auf: die alten Wege zum Wasser, die Art nicht mehr allein und doch frei zu sein, die Rituale des Lebens, Richtung zu haben und zu geben, selbst in unwegsamen Gelände.

Die goldene Stimme erklingt in ihrem Herzen: „Du dachtest: „Nur nichts kaputt machen. Immer schön vorsichtig. Keinen ärgern. Keinen kränken. Keinen Lärm und keine Anstalten machen. Sich hüten. Ja, sich nur hüten, vor falschen Bewegungen. Steif geworden bist du darüber. Und fast verdurstet und so allein. Fast bist du selbst Porzellan geworden.
Auf geht´s. Heut ist Polterabend.“

Sie atmet auf.

Ein Beitrag von Dagmar Wegener (Teilnehmerin der Schreibreise 2018) – vielen Dank!