Ein Comic über eine Kindheit zwischen Syrien und Frankreich, ausschließlich in schwarz-weiß-rot gedruckt, mit geradezu abgründigem Realismus versehen und trotzdem humorvoll – so präsentierte sich mir dieses Buch. Natürlich wurde es mir von einem Freund ausgeliehen, denn von selbst wäre ich nie im Leben darauf gekommen, auch nur ins Buch hineinzusehen. Was wirklich sehr, sehr schade gewesen wäre!
Der Autor beschreibt in mehreren Comicbänden seine Kindheit mit einem syrischen, patriotischen, konservativen Vater und einer westlich geprägten, französischen Mutter, und beide werden realistisch beschrieben: Der Vater, der eigentlich gerne ein modernes Syrien vertreten würde und als Wissenschaftler und Lehrbeauftrager dort arbeitet, und doch nicht aus seiner familiär geprägten Sichtweise heraustreten kann und in der Folge hin und her schwankt zwischen Traditionalismus und Verzweiflung über seine Unfähigkeit, diese Traditionen wirklich zu akzeptieren. Die Mutter, die mit ihrer Rolle als Frau in arabisch geprägten Nationen hadert, deren Position in der Familie ihres Mannes schwierig ist und die gezwungen ist, in der tiefsten Provinz zu leben, ohne die Sprache dort zu verstehen. Dazu die Kinder, vor allem der siebenjährige Riad, aus dessen Sicht erzählt wird: Seltsam kommt manches für westliche Augen daher, die unangefochtene Stellung der Lehrer, die Kinder schlagen dürfen und doch selber vor menschlichen Fehlern nur so strotzen, die Brutalität der Kinder untereinander, die merkwürdigen, archaischen Ansichten über religiöse Rituale und das plötzliche Eindringen von Conan dem Barbaren in diese Welt. Nach sehr kurzer Zeit jedoch fühlte ich mich plötzlich sehr an meine eigene Kindheit erinnert. Meine Großmutter war auch manchmal seltsam, ähnlich wie Riads Großmutter, und bäuerliche kleine Grausamkeiten gab es auf ihrem deutschen Hof ebenso wie im dörflichen Leben in Syrien. Jedem war schließlich klar, dass man nicht unbegrenzt viele Katzenbabys auf dem Hof haben konnte – oder? Die Kinderspiele von Riads „Freunden“, bei denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt – haben die nicht fatale Ähnlichkeit mit Rivalitäten früher in meiner Grundschule? Da gab es auch immer einen Anführer, der ohne großes Wissen große Worte schwang. Und die unrealistischen Träume der Erwachsenen, die in meiner Kindheit mehr sein wollten als sie jemals waren oder sein würden, auch das hat verblüffende Ähnlichkeit mit den Erwachsenen in Riads Kindheit.
Und so entdeckt der verblüffte Leser bei aller Unterschiedlichkeit in Kultur und Tradition doch sehr große Ähnlichkeiten im Leben und Verhalten der Menschen. Wir sind überall gleich unentschlossen, schwankend, manchmal grausam und irrational und lieben unsere Familien, Freunde und Kinder, obwohl wir wissen, wie sie und wir sind und vermutlich auch immer bleiben werden – menschlich und voller Fehler. Die kleinen Banalitäten des Lebens machen den Unterschied zwischen den Kulturen aus, aber auf eine seltsame Art heben sie gleichzeitig unsere Gemeinsamkeiten hervor. Besonders aufgefallen ist mir das, als Riads Vater einen Obstgarten anlegt und mit dem Erlös seine Familie mit Geld überschütten will. Das Unternehmen ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, die Bäume wachsen nicht so, wie sie sollen, die wenigen Früchte bleiben klein und hart und werden von Riads Cousins entweder gegessen oder zum Spielen genutzt. Und selbstverständlich wird Riad seinem Vater das niemals erzählen, denn man ist ja schließlich solidarisch mit seiner Familie, so, wie die Familie es ihm beigebracht hat. Tatsächlich hat Riad eine Heidenangst vor seinen Cousins, und da legt er die notwendige Familiensolidarität eben passend aus. All das ist sehr von der arabischen Kultur geprägt, aber ich erkenne da jede Menge Dinge aus meiner Kindheit wieder. Sehr viele Unterschiede – sehr viele Ähnlichkeiten.
Der Autor Riad Sattouf hat bis kurz vor dem Terroranschlag bei Charlie Hebdo fast zehn Jahre lang für das Magazin gezeichnet und sich dann dem Erzählen längerer Handlungen gewidmet. Besonders mit der Serie „Der Araber von morgen“ feiert er große Erfolge, die Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt, und das zu Recht: Selten habe ich so humorvoll, respektvoll und unterhaltsam neue Dinge über andere Länder und andere Sitten gelernt, und ganz nebenbei auch einiges über mich und mein Land. Letzten Endes sind wir uns wirklich alle sehr ähnlich: Menschlich eben.

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