Der Trotz kommt zu Besuch. Hilfe! Du erinnerst dich noch vom letzten Mal daran, wie er aussieht und richtest schnell dein Haar, ziehst deine Lieblingsjeans an und kochst Kaffee. Beim letzten Mal hat er nichts davon bemerkt, aber egal, du willst einen guten Eindruck hinterlassen.
Als du die Tür öffnest, rauscht er hindurch, ohne dich richtig zu begrüßen. Seine blauen Augen blitzen, seine Haare wehen wie im Sturm, er elektrisiert die Luft. Du bist hingerissen. Er bleibt im Wohnzimmer stehen und gestikuliert mit seinem Gehstock. „Und dann hat er verlangt, dass ich mich ändere, kannst du dir das vorstellen? Ganz bestimmt werde ich das nicht tun! Warum sollte ich das tun? Bin ich etwa nicht gut genug, so wie ich bin? Wie kann er es wagen! Unglaublich!“ Er stampft mit dem Fuß auf, und du weißt, eigentlich solltest du das lächerlich finden, ein erwachsener Mann, der wie ein trotziger Junge mit dem Fuß aufstampft, aber er sieht so gut aus dabei! Du versuchst, ihm Kaffee anzubieten, aber er ist mit sich und seiner Empörung beschäftigt. „Wenn er meint, mir gute Ratschläge geben zu müssen, dann wird er auf meine Gesellschaft verzichten müssen! Ich werde ihm nicht die Last meiner Anwesenheit aufbürden!“
„Naja“, versuchst du einzubringen, weil du weißt, wie lange die beiden schon befreundet sind, aber du wirst nicht erhört. Der Trotz redet sich immer mehr in Rage und entscheidet dann, das alles würde er seinem Freund jetzt persönlich sagen. Er legt dir kurz die Hand auf die Schulter und bedankt sich für das Gespräch und du schmilzt dahin, obwohl du für das bevorstehende Gespräch das schlimmste fürchtest. Und obwohl es überhaupt kein Gespräch gab, der Trotz hat seinen üblichen Monolog gehalten. Wie macht er das bloß immer, fragst du dich, als du ihm durchs Flurfenster nachsiehst, während er seinen Gehstock durch die Luft schleudert und der Kies unter seinen Schritten davonspringt. Vielleicht bist du ein kleines bisschen neidisch auf die Unmittelbarkeit seiner Gefühle. Man stelle sich vor, er würde mit derselben Intensität lieben! Aber dazu wird es nicht kommen. Er ist mit sich beschäftigt, so wie immer. Schade eigentlich.

Ja – sehr schade.
Aber immerhin bleibt uns doch eine schöne Vorstellung. Immerhin … was täten wir also ohne ihn ;-?
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Reden… Verhandeln… über Schatten springen… was man halt so tut, wenn man es aushält, nicht mit dem Fuß aufzustampfen… 😁
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Sehr schön geschrieben! … und beschrieben. Eine kleine Weile dachte ich: vielleicht spielt sich das zwischen „Deinem Trotz“und einem anderen Teil (?) im Inneren ab. Aber es könnte tatsächlich eine wahre Beobachtung sein. Solche Menschen gibt es ja wirklich. Ich liebe das Geheimnisvolle und zwiespältige in Geschichten und Beschreibungen. Und hier irritierte mich der Stock und das Bild des Schönlings – auch das wunderbar.
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Nein, der hübsche ist kein Teil meines Innenlebens, er ist sehr autark. Und in diesem Fall finde ich das sehr gut so, und wenn er noch so verlockend zu sein scheint. 😊
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