Frau Mörgenbörtel schmückt ihren Weihnachtsbaum ab. Zuerst kommen die roten Kugeln mit dem Glitzerstaub wieder in den Karton, dann die goldenen mit den Rentieren. Bei den Holzsternen ist sie schneller, das sind die Unempfindlichsten. Wie jedes Jahr bedauert sie, dass es kein Lametta abzunehmen gibt, die silbrigen Fäden lagen immer so schön kühl und schwer in der Hand. Zum Schluss wickelt sie die zwei Lichterketten auf und schon steht der Baum nackt vor ihr. Jetzt kommt der beste Teil. Sie tippt in ihr Handy und fragt, ob die anderen soweit sind. Die Antworten kommen postwendend. Sie befreit den Baum aus dem Ständer, wuchtet ihn durch die offene Balkontür nach draußen und auf die Brüstung. Auf den Balkonen links und rechts neben ihr tauchen zwei weitere nackte Bäume auf. Einer davon hat bemerkenswert wenig Äste.
„Das ist unfair!“ ruft Frau Mögenbörtel. „Du hast ihn frisiert!“
„Ach was, stell dich nicht so an! Mein Kaninchen liebt Tannenbaumzweige, da musste ich ein paar abzweigen!“ antwortet die Nachbarin zur Linken.
„Reden wir jetzt übers Füttern oder über den Fluchtsieger?“ knarzt der Nachbar zur Rechten und dreht seinen Baum probeweise in den Händen.
„Über den Fluchtsieger! Eins, zwei, drei!“ Frau Mögenbörtel wirft ihren Tannenbaum in einem gewagten Winkel nach unten. Ihre Nachbarn tun das gleiche. Der frisierte Baum macht einen Salto und kommt als letzter unten an. Gewinner dieses Jahr ist Frau Mögenbörtels knarzender Nachbar, der die Faust reckt und triumphierend „Sieg!“ ruft. Sein Baum ist am schnellsten unten angekommen.
Frau Mögenbörtel strahlt. Das Ende von Weihnachten ist wunderbar. „Ich geb einen Eierlikör aus! In fünf Minuten bei mir!“ ruft sie, ihre Nachbarn nicken und verschwinden nach drinnen. Eine Tannennadelspur zieht sich durch Frau Mögenbörtels Wohnzimmer, aber der Eierlikör hat Vorrang. Man muss Prioritäten setzen, denkt sie, und fischt die Eierlikörflasche aus dem Kühlschrank.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, die von Christiane organisiert werden – vielen Dank dafür! Die Regeln: Maximal 300 Worte, enthalten sein müssen dieses Mal Fluchtsieger, füttern und wunderbar. Wortspender war Ludwig Zeidler, der Erfinder der Etüden.
Vonwegen Phantasie versus aufgelegt und so … *grins*
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😁 stell dir vor, eine ganze Hochhausetage würde bei so einem Wettbewerb mitmachen… da krieg ich glänzende Augen…
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Das Kind im Weibe steht dem in ihrem Gegenpart um Nichts, aber auch garnix nach, hehe … 😉 – kann ich mir tatsächlich wirklich auch gut vorstellen … *kicher*
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Neue Olympia – Disziplin! Mindestens!! 😅
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Ich fand schon immer, dass es an fröhlichen Ritualen zur Beendigung von Feiertagen fehlt!
Prost Eierlikör! Hicks!
Abendgrüße 🛋️📖🍵🍪
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Hab ich gerade schon an Olpo geschrieben: Stell dir vor, da würden ganze Hochhausetagen mitmachen bei einem solchen Wettbewerb! Und der Eierlilörverbrauch! Hach! 😊🎄🎄🎄
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Damit alle gleich weit nach unten hätten, müsste das dann stockwerkweise passieren … 🤔😉
Was für eine Vorstellung!!! 🎄🌲🌲🎄🌲🎄🌲
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Das würde natürlich organisiert werden, wir sind ja schließlich in deutschen Landen… 😁 und Gnade Gott dem, der zu früh wirft! 😅
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Ganz breit grins 🙂 . Eine herrliche Etüde zum Ende der Weihnachtszeit.
LG Anna-Lena
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😊 ich würde ja zu gerne zu einem Tannenbaumsturzwettbewerb einladen… mit anschließender Eierlikör-Verkostung. 😁
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Eierlikör hat Priorität: diese Entscheidung finde ich gut.
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😅
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und für den Sieger gibt es ein Gläschen Eierlikör! *lach*
Eine tolle Geschichte. Ich mag sie sehr!
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Dankeschön! Darauf einen Eierlikör! 😅
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,🙋♀️🌞😉
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herrlich, die deutsche Knut-Variante und dann noch mit Eierlikör, bin ich dabei, muss mir erst einen Christbaum besorgen, hatte diese Jahr keinen,m wegen Umzugsvorbereitungen…
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Fantastisch. 😇 Freunde von mir filmen jedes Jahr ihren Baumwurf. Mittlerweile ist daaraus ein sehr lustiger Kurzfilm erwachsen.
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Das ist doch mal ein origineller Fluchtsieger ! 🙂
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