Abspecken! Philipp rieb fester über das Deck der Wiking II. Das Seifenwasser schäumte, kleine Flocken flogen auf. Landratten! Er tauchte den Schwamm ins Seifenwasser, dann nahm er den nächsten Bereich in Angriff. Sauber musste das Boot sein, darauf legte der Maat größten Wert, und Philipp war ganz seiner Meinung. Besenrein reichte nicht für sein Boot. Er hatte die Wiking II so oft gewaschen, gewachst und poliert, dass seine Hände jede Ecke und Unregelmässigkeit kannten, auch wenn es wirklich nicht viele waren. Wie immer sorgten sie für Aufsehen im Yachtclub, die Besitzer der kleinen Boote und Miniyachten spazierten vorbei, um einen Blick auf die polierte Herrlichkeit zu werfen. Morgen würden sie wieder weg sein, der Eigner hatte sie zum nächsten Hafen beordert.
Philipp drückte den Schwamm aus, warmes Seifenwasser lief über seine Finger. Er liebte seinen Job. Und das Boot. Die Anstellung war ein Volltreffer gewesen, sein Ausweg aus Schulden und Arbeitslosigkeit. Er würde dem Maat nie vergessen, dass er ihn angestellt hatte, trotz fehlender Zeugnisse, Übergewicht und anfänglicher, schrecklicher Seekrankheit. Anstatt einer verdreckten Wohnung hatte er jetzt seine Kabine, Gesellschaft, frische Luft und seine Schuhe standen draußen auf der Fußmatte vor dem Boot. Seinem Zuhause.
Abspecken! Seit er an Bord war, hatte er zwanzig Kilo verloren, und es würden noch mehr werden, das stand fest. Zum letzten Mal schüttete er das Seifenwasser aus. Das Deck glänzte. Heute Nacht würde er die zusammengerollte Persenning über Bord werfen, wenn er Wache hatte. Auf dem Meeresboden konnte der Eigner mitsamt seinem Anker ja nochmal überlegen, wann er wem kündigte, weil er nicht gut genug aussah für die Wiking II. Philipp überlegte, ob er den Anker austauschen sollte gegen etwas anderes Schweres, aber dann holte er die Polierpaste und öffnete den Deckel. Wer brauchte schon einen Anker, wenn er doch immer weiter fahren konnte?

Das war ein mörderischer Beitrag zu den abc-Etüden. 😁 Die Vorgaben: Maximal 300 Wörter, eingesetzt werden mussten Yachtclub, besenrein und abspecken. Die Wortspende kam von Anja mit ihrem Blog Annuschkas Northern Star. Und organisiert hat das ganze Christiane – vielen Dank! 😊
Der Turn der Geschichte kam gut. Beginnt ganz harmlos, und dann…
Ich hoffe bloß, dass der geopferte Anker nicht irgendwann doch noch fehlt😉
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Tja, ich schätze, der gute Philipp hat da seine ganz eigenen Prioritäten gesetzt… vermutlich würde er es vorziehen, ab sofort von Fisch und Regenwasser zu leben, als jemals wieder an Land zu gehen. 😁
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Ah, du gehst jetzt auch unter die Etüden-Mörder? Na, das verheißt ja schon mal einiges … 😎😉
Die rote Linie überschreiten … seit ein gewisser Politiker davon angefangen hat, begegnet sie mir immer wieder. Wer zieht für sich wo und wann die/eine rote Linie, und warum und mit welchem Recht. Spannend, nicht nur in deiner Etüde … 🤔
Vergnügte Abendgrüße! ⛅🌳🍷🥗🌼👍
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Tja, die roten Linien sind wohl doch sehr persönlich definiert. Ich kann meinen Matrosen verstehen, aber… naja… sagen wir so, für eine Etüde war es super, dass er seine überschritten fand. Erdbeerweingrüße! 🍓🍷
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Ja genau das wollte ich auch sagen: auch du gehst unter die Mörderinnen! ABER ein sehr geglückter Text mit einem überraschenden Ende,
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Ihr klingt so überrascht! Dabei hatte ich doch schon ein oder zwei mordlüsterne Etüden… meine mörderischen Anteile habe ich wohl gut verschleiert, was? 😁
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Ganz hervorragend verschleiert ja. Da sieht man wieder, wie viele Facetten wir alle haben 🙂 🙂
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😁
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Mir gefällt die Geschichte, wie du so beiläufig beim Polieren die Leichenverschwindepläne erörtern lässt. Das wirkt so selbstverständlich.
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Tja, der gute Philipp hatte so seine eigenen Pläne, was er beim Polieren denkt und plant, da musste ich gar nicht viel drumherumreden. Und da gibts ja diese Wortbegrenzung… 😁
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