Unter dem Tisch

Unter dem Tisch

Als unter dem Tisch plötzlich alle ungesagten Wörter liegen, wird es einen Moment lang ganz still im Raum. Das Kind hat sie als erstes entdeckt, weil es gerne unter das Tischtuch abtaucht. Die Wörter vibrieren unruhig, ab und zu leuchtet eines auf. Der Hund hat sie gewittert und sitzt mittlerweile auch unter dem Tisch. Er wartet lauernd, und sobald eines aufflammt, packt er es mit einem Knurren und schüttelt es. „Versager!“ gellt durch den Raum, die Erwachsenen ducken sich erschrocken und gucken nirgendwohin. Einer ruckt dabei versehentlich mit den Füßen und trifft einen ganzen Trupp von Worten. „Mir ist langweilig!“ „Schreckliches Jackett!“ „Das Essen ist völlig versalzen!“ wabert unter dem Tisch hervor. Das Kind piekst ein buntes Wort an, „Papageienhintern“ fliegt auf. Als dem Hund ein paar der ungesagten Buchstaben in die Nase geraten, muss er niesen und alles fliegt in die Luft: „Ich will nach Hause!“ „Die andere Seite wär mir lieber!“ „Es juckt!“ „Blödmann!“ „Kleingeist!“ „Ich liebe dich!“
Überrascht guckt die Tischgesellschaft sich an. Wem galt das? Auf einmal raken alle mit den Füßen unter dem Tisch herum, das Kind lacht, der Hund bellt aufgeregt. Hemmungslos fliegen explodierende, ungesagte Wörter durch die Luft, und als es still wird, schwebt Klarheit über dem Tisch.
Alle sehen sich an, als ob sie sich noch nie gesehen hätten. Dann fangen sie an zu reden.

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