Möglichkeiten

Der Affe war unruhig. Er war alle Äste entlanggelaufen, hatte zwei Käfer gefunden, mit ihnen gespielt und sie gegessen. Das Obst am Morgen war saftig und süß gewesen, aber es war nichts mehr übrig. Er hatte mit den Fingern die Mauer gestreift und war den Abhang hinuntergerannt, und nun saß er in der Astgabel und alles war ruhig. Vögel flogen über ihn hinweg, sie kamen von vor der Mauer und flogen nach hinter der Mauer. Der Affe sah ihnen nach und schlug mit einer Hand auf den Ast, auf dem er saß. Er war neu hier und es gefiel ihm nicht. Vorher hatte es andere gegeben, Familie, und wenn dort Obst zu ihnen geworfen wurde, musste er schnell sein, um etwas abzubekommen. Nun musste er nicht mehr schnell sein. Es war nicht dasselbe. Den Alten vermisste er nicht, er hatte ihn schon fast vergessen, auch die Bisse und Knüffe verblassten, dafür wurde die Stille immer dichter. Er kreischte, einfach so, weil er es konnte, rannte über Äste und Schaukeln, sprang und klammerte sich hoch oben an der Mauer fest. In einem dünnen Grasbüschel fand er Halt, dann bohrte er einen Fuß in eine winzige Spalte und schob sich ein Stückchen höher. Unter seinen Händen und Füßen öffneten sich Wege, und so krallte und zog er sich voran. Ganz oben schob die Mauer sich nach innen, aber er würde sich nicht blockieren lassen, jetzt nicht mehr. Er suchte einen Vorsprung, fand ihn, baumelte ein paar Sekunden mit den Beinen in der Luft und zog sich hinauf. Verwirrt blickte er um sich. Die Welt war groß. Groß! Unüberschaubar. Riesige Bäume mit Blättern, ohne kahle Äste, und viele Mauern, da liefen Futterbringer herum, und weiter hinten standen sonderbare Wesen mit bauschigen Dingern auf dem Rücken. Er kreischte, triumphierend nun. Dann rannte er los.

Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, die von Christiane organisiert werden. Die Wörter für die Textwochen 06/07 des Schreibjahres 2021 stiftete Torsten mit seinem Blog Wortman. Sie lauteten Affe, neu und blockieren. Wie immer vielen Dank an Christiane für das Organisieren!

16 Gedanken zu „Möglichkeiten

  1. Und schon ist der halbe Zoo in Aufruhr 🦧🦍🐵
    Was soll man ihm wünschen, Freiheit? Eine andere Affenbande? Dass er den Zoo auf den Kopf stellt und den Ausbrecherpokal bekommt? 🤔😉
    Ich weiß es wirklich nicht.
    Zoos machen mich oft traurig.
    Abendgrüße 😁🦍🍷🍲👍

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    • Mich auch. Die mit den alten, kleinen Gehegen und den trostlosen Betonböden besonders. Aber es gibt auch andere, die ich gern besuche. Und mein junger Ausbrecherkönig wäre ja vielleicht in eine andere Gruppe gekommen, die ihn nicht gebissen und geknufft hätte, wenn er nicht vorher das Weite gesucht hätte. Freiheit ist ein zweischneidiges Schwert… aber sehr verlockend.
      Schokoladige Feierabendgrüße! 🙂

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    • Stimmt. Ich mag manche Zoos, viele geben sich wirklich viel Mühe, aber es ist besser nicht allzuviel über die Größe der Gehege oder die Langeweile dort nachzudenken. Im Prinzip sind es auch in den besseren Zoos komfortable Gefängnisse.

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      • Ja, die Gefängniszoos sind komfortabler geworden. Damit sich das Besucherauge nicht mehr so sehr an den Gitterstäben stößt. Aber wenn man bedenkt,welche Bewegungsraum solche Tiere Normalerweise haben, müsste man uns wohl in eine Streichholzschachtel einsperren.
        Ich mag den Zoo. Aber nur, wenn ich nicht darüber nachdenke. 😊

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  2. Uch wünsche ihm einen tollen Ausflug und dann ein neues Heim ohne knuffende Andere. 😇 Zoos sind so ne Sache, die kontroverser ist als man denkt. Ich finde es immer eigenartig, wenn Leute Zoos verteufeln und dann Massentierhaltungsfleisch essen. 😑

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    • Das wäre doch eine tolle Zukunft für ihn! 🙂 Vielleicht klappt es ja. 🙂
      Zoos sind eine einzige Kontroverse, ein ständiges einerseits/andererseits, und ich bin längst nicht fertig mit meinem Denken darüber.

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  3. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 08.09.21 | Wortspende von wortgeflumselkritzelkram | Irgendwas ist immer

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