Darjeeling
Am liebsten hätte er alles vergessen. Alles hinter sich gelassen. Die mitleidigen Blicke, wenn er wieder den Freitagabend verpasst und sich vom Sog seiner Arbeit hatte mitreißen lassen. Das Verlangen, eine Lösung zu finden, war übermächtig, er konnte ihm nicht widerstehen.
Niedergeschlagen fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und starrte die dampfenden Kupferkessel an. Warum gelang es ihm nicht? Es musste einen Weg geben! Grübelnd schloss er die Augen und ging erneut alles durch. Vom verknöcherten Tentakel eine geriebene Messerspitze. Oder war es eine gehackte gewesen? Verzweifelt drückte er die Handballen auf die Augen, als ein scharfes Knacken durch das Labor schoss.
Er riss die Augen auf. Nicht jetzt! Er würde von vorn anfangen müssen! Panisch suchte er Glaskolben und Rohre ab, und da war es: Ein Reagenzglas war unter dem Druck des heißen Honigs gesprungen. In verzweifelter Hast suchte er etwas zum Abdichten, irgendetwas, riß schließlich den feuchten Teebeutel aus der Tasse und drückte ihn in das Reagenzglas, bis die Versuchslösung darüber hinweg in den nächsten Kolben floss. Allerdings hatte er nicht bedacht, dass der Darjeeling seinen eigenen Willen hatte. Farb- und Bitterstoffe drangen in die Versuchslösung und färbten sie goldbraun. Er schluckte. Er würde wieder von vorn anfangen müssen. Alles umsonst, wie jedes Mal.
Eine kleine Weile lang bemitleidete er sich, dann riss er sich zusammen und bereitete den Abbau vor, als ein leises Klicken ihn aufblicken ließ. Erneut klickte es. Und wieder. Was war das? Ungläubig blickte er auf die Petrischale, die unter dem letzten Abkühlrohr stand. Es glitzerte darin. Wie Gold. Gold? Er nahm einen der kleinen Krümel zwischen Daumen und Zeigefinger, rollte ihn hin und her und biss vorsichtig hinein. Er war schwer. Und weich.
Ungläubig ließ er sich auf einen Stuhl sinken und betrachtete den Teebeutel im Reagenzglas. Darjeeling?
Echt jetzt?
Das war ein Beitrag zu den abc-Etüden, wie immer organisiert von Christiane und ihrem Blog Irgendwas ist immer. Die Regeln: Maximal 300 Worte, und im Text unterzubringen waren dieses Mal die Wörter Reagenzglas, übermächtig und vergessen. Wortspender ist der Herr Stepnwolf mit seinem Blog Weltall. Erde. Mensch…und Ich – vielen Dank fürs Organisieren und spenden! Und übrigens ist das ein Text für alle, die morgens erst nach der ersten Tasse Tee sicher sind, wer sie sind. 🙂
Vom Zauber eines gutes Tees … Ich liebe diese Geschichte.
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Nicht?? 🙂 Ich nenne meinen Tee immer schwarzes Gold.
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Funktioniert das nur bei Darjeeling? Der ist nicht so meins, aber ich hätte Lady Grey hier. 😛 Danke für das Grinsen am frühen Morgen (es ist Sonntag als vor 12 ist früh!!).
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Nichts mit Bergamotte!!! 😎
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Vielleicht züchtet er ja damit große silbergraue Bergamottefalter in seiner Petrischale… (da fällt mir ein, ich hatte mal irgendwo ein Gedicht über todessehnsüchtige Motten… muss ich mal ausgraben gehen)
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Ausprobieren, immer ausprobieren… am Anfang des Textes hätte ich auch noch nicht gedacht, dass Tee die Geheimzutat ist… 🙂
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Ich muss gestehen, dass ich beim letzten Satz am lautesten gelacht habe 😁
Großartige Idee, und wirklich gut umgesetzt. Toll.
Liebe Grüße
Christiane 😁🌞☕🍪👍
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Ich sag´s ja immer, Tee ist das Nonplusultra! Also schwarzer, natürlich. 😁
Vielen Dank für die Blumen, vielleicht sind es ja Teeblumen… 🙂
Liebe Grüße von Tanja
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Endlich! Nach vielen Jahrhunderten haben die Alchimisten endlich ihre Meisterin gefunden!
Wunderbare Idee!
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Und so brachen goldige Zeiten an… 🙂
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Es sind manchmal die Zufälle, die zu neuen Erkenntnissen führen…
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Manchmal richtig abseitige Zufälle… 🙂
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Darauf einen Tee…
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Jö, ein botanisch orientierter Alchemist! Wunderbar, da tun sich unglaubliche Möglichkeiten auf … 😉
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Er hat immerhin Honig als Zutat fürs Goldmachen genommen, eine gewisse Genialität kann man da sehen… 🙂
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Ja, unbedingt *lach*
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