Fräulein Honigohr betritt den Spielplatz und geht zielstrebig auf die Nestschaukel zu. Sie lässt sich nieder und holt ihr Buch heraus, während die Schaukel sanft hin und her schwingt.
„He! Die ist nicht für alte Leute!“
Fräulein Honigohr blickt auf. Zwei Jungs hängen lässig auf den Brettschaukeln neben ihr.
„So?“ sagt Fräulein Honigohr. „Wer behauptet das?“
„Ich!“ Der kleinere grinst auf eine Art, die Fräulein Honigohr überhaupt nicht gefällt. „Sie sind viel zu alt. Gehen Sie lieber zu ihrem Häkelclub!“
Fräulein Honigohr spitzt den Mund. „Du hast interessante Ansichten. Und für diesen Platz bist du auch zu alt.“
„Ist doch egal!“ ruft der größere. „Das ist unser Platz! Verziehen Sie sich!“
Fräulein Honigohr legt einen Finger zwischen die Buchseiten. „Wenn ihr unbedingt einen Spielplatz besitzen wollt, bitte. Aber in dieser Schaukel, da sitze ich. Ihr könnt ja schließlich nicht alle gleichzeitig belegen.“
„Alte! Mach dich vom Acker, aber ein bisschen plötzlich!“ Der größere steht auf und kneift die Augen zusammen, während der kleinere überlegen grinst.
Fräulein Honigohr schüttelt den Kopf. „Wisst ihr was? Ich lese gerade ein Buch über Vogelflug. Und ich brauche Übung. Ihr solltet euch festhalten.“ Sie schließt die Augen. Die Seile der Brettschaukeln lösen sich aus der Verankerung und werden zu Vogelschwingen, die Schaukelbretter schieben sich den Jungs unter die Oberschenkel. Mit kräftigem Schlag heben die Vogelschwingen die Jungs in die Luft und tragen sie davon. Fräulein Honigohr hört sie ängstlich aufschreien, aber sie blickt nicht auf und liest weiter.
Eine Viertelstunde später rauscht es über ihr. Ohne hinzusehen nickt sie. Einen Blick später sitzen zwei Jungs mit verwehten Haaren atemlos im Sandkasten.
„So. Ich bin fertig. Ihr könnt euren Spielplatz zurück haben. Macht was draus.“ Fräulein Honigohr erhebt sich und verstaut das Buch. Es ist Zeit für ihren Vormittagstee. Pfeifend macht sie sich auf den Weg.

Das war ein Beitrag zu den Etüden, organisiert von Christiane (vielen Dank!). Unterzubringen im Text waren Vogelflug, ängstlich und schwingen, die Wortspende kam von Ulli Gau aus ihrem Café Weltenall. Und wieder habe ich hart gekämpft, um die maximal 300 Wörter einzuhalten!
Süß🙋🏼
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🙂
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Ich liebe Fräulein Honigohr – wundervolle Geschichte. Bitte mehr😊
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🙂 Ich arbeite dran! Manchmal ist sie ein bisschen kapriziös und lässt auf sich warten…
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Bei deinen Fräulein-Honigohr-Geschichten wünschte ich mir auch, dass sie länger sein dürften! Ach, herrlich! 😂
Gefällt mir sehr, sehr sehr. Vielen Dank! 🙂
Liebe Grüße
Christiane
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Ja, sie möchte sich eigentlich auch viel mehr ausbreiten, es ist eine echte Herausforderung, sie in textlichen Schranken zu halten… 🙂
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Ein vielseitiges Fräulein 🙂
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Oh ja, bisher habe ich sie als sehr vielseitig kennengelernt! 🙂
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🙂
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Fantastisch. Frau Honigohr mausert sich zu einer meiner liebsten Blogprotagonistinnen!
Grüße, Katharina
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🙂 Sie ist entzückt!
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Wunderbar! Sie ist soooo nett! Wenn ich Fräulein Honigohr lese, fang ich schon an, mich zu freuen. 😃
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Uuuhh… das ist ein Kompliment…. ich glaube, Fräulein Honigohr wird gerade ein bisschen rot… 🙂
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Was für eine tolle Geschichte!
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Dankeschön! 🙂
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Frl. Honigohr ist toll und ich liebe sie. Wenn sie denn noch lernt, dass „schwingen“ eigentlich ein Verb sein soll, würde ich vor ihr niederknien.
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Verdammt, du hast es bemerkt… 🙂
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