Kleine Vorerklärung: Das hier ist eine Schreibübung zum Thema Kurzkrimi. Ich wollte testen, wie man mit ganz einfachen Worten und Sätzen etwas komplexes ausdrücken kann. Keine Schachtelsätze, keine Fremdwörter, keine komplizierten Ausdrücke, nur das Notwendige. Hier ist das Ergebnis (es ist dann doch kein üblicher Kurzkrimi geworden):
Mehl
Sie haben mir gesagt, ich soll alles aufschreiben. Was denn aufschreiben, habe ich gefragt. Alles, was mir wichtig ist, haben sie geantwortet. Was mir wichtig ist… ich finde, das ist eine dumme Frage. Aber gut – ich habe mir Gedanken gemacht. Wichtig ist mir, daß es mir gut geht. Ich meine jetzt nicht das Geld, das ist nicht so wichtig, nein, sondern einfach gut. Das ich glücklich bin. Und keine Angst habe. Aber ich finde das schwierig zu beschreiben – wann ist man schon glücklich? Das ist nicht so oft. Wenn wir auf dem Sofa sitzen und zusammen Fernsehen gucken, so ganz eng, dann, glaube ich, bin ich manchmal glücklich. Das ist schön, so mit den Menschen zusammen, die man liebt. Wir streiten uns auch, das ist ja klar, ich meine, wer schafft das schon ganz ohne Streit.
Aber eigentlich hasse ich Streit. Das war schon früher so, in der Schule und in der Ausbildung. Ich mag das nicht. Ich finde, alle sollten sich gut vertragen. Sich ein bißchen Mühe geben und auch mal zurückstecken, man muß doch nicht immer seinen Willen haben. Die Leute, die so aggressiv sind, die sollten sich das mal überlegen. Ob es nicht wichtiger ist, ein gutes Auskommen mit den Leuten zu haben als gleich loszubrüllen. Ich denke, es ist wichtig, gut mit den Leuten klar zu kommen. Ich grüße immer. Auch, wenn ich mal nicht so gut gelaunt bin. Ich meine, man weiß ja nie, wo man die Leute wiedersieht. Vielleicht braucht man sie nochmal, und wenn sie einen dann unfreundlich erlebt haben, ist das nicht so gut. An mir gehen viele Leute vorbei, ohne mich anzugucken. Ich finde das nicht schlimm. Ich bin gerne unauffällig, das gehört sich so, nicht wie diese jungen Mädchen, die sich so auffällig anziehen. Die haben doch selber Schuld, wenn sie in Schwierigkeiten geraten, mein Mann sagt das auch. Und es ist nicht gesund, in ein paar Jahren werden sie es alle an den Nieren haben.
Ich bin ganz gesund, das hat mir der Arzt hier gesagt. Ich bin nicht so eine, die immer jammert. Man muß auch schon was aushalten können, man kann nicht wegen jedem Wehwehchen gleich zum Arzt gehen. Meine Mutter hat mich früher mit Hausmitteln kuriert, wenn es gar nicht mehr ging, und es hat mir nicht geschadet. Manchmal nehme ich jetzt aber doch eine Tablette, meine Mutter ist ja nicht mehr da.
Ich weiß nicht, ob ich eine gute Mutter bin. Mein Sohn ist mir wichtig. Vier ist er jetzt. Manchmal geht er mir auf die Nerven, wenn er immer nur bei mir sein will. Ich muß noch viele andere Dinge tun, den Haushalt machen, einkaufen, meine Haare – mein Mann legt Wert darauf, daß ich gut aussehe. Da kann ich nicht immer mit ihm spielen, das muß er verstehen. Ich kann auch nicht immer so, wie ich möchte. Er geht nicht in den Kindergarten, wir wollten das nicht, dass er mit so vielen anderen Leuten zusammenkommt. Die ersten Jahre sind wichtig für ein Kind, und man kann nie genug tun, um ihm eine ordentliche Erziehung zu geben. Mein Mann sagt das auch. Er hat immer Angst, daß unser Sohn nicht klug genug ist. Ich bin ja auch nicht so klug. Manchmal ist er böse auf mich, wenn abends nicht alles aufgeräumt ist, wenn er kommt. Ich versuche wirklich mein Bestes, aber ich schaffe es nicht immer. Es ist mir wichtig, immer mein Bestes zu geben, ich sage ihm das auch, aber er hört nicht gerne zu.
Mein Haushalt ist mir wichtig. Ich mag es, wenn alles da steht, wo es hingehört. Kochen mag ich nicht, es ist dann alles immer so unordentlich und schwierig. Ich bin mir nie sicher, ob es so wird, wie es sein soll. Ich bin immer froh, wenn ich fertig bin und aufräumen kann. Wenn alles weggeräumt ist und ich mich abends in der sauberen Küche umsehe, bin ich stolz. Essen tue ich nicht so gerne, ich habe einen nervösen Magen, und manchmal kann ich das Essen einfach nicht hinunter bekommen.
Ich bin ein vorsichtiger Mensch. Ich vertraue niemandem schnell. Man weiß nie, was dabei herauskommt. Freunde habe ich nicht, wir sind aus unserer alten Stadt weggezogen, meinem Mann wurde es zuviel dort, er hat gesagt, die Leute würden zuviel reden.
Meine Ausbildung habe ich abgebrochen, als das Kind unterwegs war. Aber ich bin zufrieden. Ich brauche keinen Beruf, ich habe eine Familie, eine Wohnung. Ich habe viele Blumen. Ich mag Blumen, die Blüten, die Farben und den Duft. Sie gedeihen gut bei mir, es ist immer grün.
Die Wohnung verlasse ich ungern, draußen ist es anstrengend. Manchmal, wenn ich in der Straßenbahn sitze, überlege ich, einfach weiterzufahren und nicht mehr auszusteigen. Aber das geht natürlich nicht. Die vielen Farben draußen tun mir in den Augen weh, auch der Himmel. Bei uns ist es dunkler, mein Mann mag am liebsten dunkle Farben. Er mag keine hellen Farben, er sagt, die sind unpraktisch, man sieht alles darauf, und die Möbel müssen lange halten. Das dunkle Holz ist auch viel einfacher sauber zu halten.
Ich war mal in einer Kirche, mir war so merkwürdig, und ich bin einfach reingegangen. Eigentlich mache ich sowas nicht, man weiß ja nicht, ob man willkommen ist. Aber außer einem Mann war niemand drin, und es war dunkel und kühl. Ich habe mich in eine Bank gesetzt und einfach nur so dagesessen, wie lange, weiß ich nicht mehr. Das war schön. Irgendwann habe ich bemerkt, daß der Mann mich so angeguckt hat, da bin ich lieber gegangen. Er ist mir nicht nachgekommen.
Ich gehe auch gerne ins Museum. Die Bilder beruhigen mich. Es ist schön, sich etwas anzusehen, was jemand vor langer Zeit gemacht hat. Ich frage mich oft, was die Personen wohl gedacht haben, als sie gemalt wurden. Ob sie sich mit dem Maler unterhalten haben, oder ob sie sich gelangweilt haben. Auch die Bilder mit den Landschaften mag ich. Ich stelle mir vor, dort spazierenzugehen. Manchmal ist es wie ein Sog, ich kann mich kaum von ihnen trennen. Ich könnte stundenlang da sitzen, aber das geht nicht, mein Sohn wird dann unruhig, und im Museum muß es leise sein.
Mein Sohn ist ein stilles Kind. Ich weiß nicht, wie das werden soll, wenn er in die Schule kommt. Dann muß er mehr reden. Mein Mann sagt das auch, und manchmal wird er wütend auf ihn und auf mich, weil ich ihn nicht richtig erziehe. Er schlägt uns wirklich nur im äußersten Notfall. Manchmal ist das notwendig, ich verstehe das. Er ist müde, wenn er nach Hause kommt, und hat ein Recht darauf, alles schön vorzufinden. Er bringt das Geld nach Hause, und ich bin für den Haushalt zuständig. Er will nur das Beste für uns.
Aber neulich ist etwas Merkwürdiges passiert. Da stand ich in der Küche und habe zugesehen, wie mein Mann das ganze Mehl verschüttet hat, über die Schränke und Türen, und über meinen gewischten Boden, und in den Ofen über das Essen. Vorher war es ganz sauber und ordentlich überall, weil er es nicht mag, wenn es unordentlich ist. Er hat gesagt, wenn ich zuviel Zeit hätte, könnte ich das ja morgen aufräumen, anstatt in die Stadt zu gehen. Und da hab ich so eine Wut gekriegt, ich habe richtig gezittert und danach wird alles undeutlich in meiner Erinnerung.
Auf jeden Fall tut es mir leid, ich weiß gar nicht, was da über mich gekommen ist, ich meine, ich bin doch ein ruhiger Mensch, ich liebe meinen Mann, unsere Familie. Was die Nachbarn wohl sagen. Und wer gießt jetzt meine Blumen?
Ich würde gerne nochmal in die Kirche gehen. Es war so ruhig und friedlich dort.
Hier kann ich meinen Sohn nicht sehen. Ich finde das schade. Wer kümmert sich jetzt um ihn? Mein Mann kann das nicht tun. Er ist ja jetzt tot.